Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwischen Mond und Versprechen

Zwischen Mond und Versprechen

Titel: Zwischen Mond und Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon Delany
Vom Netzwerk:
Bemerkenswert schnell und trittsicher.
    » Autsch! Verdammt! « , fluchte ich mehr aus Angst als vor Schmerzen, als meine Schuhe bei dem Eiltempo gegen einen Baumstamm stießen. Meine Zehen kribbelten und ich presste mich noch fester an ihn– ein schlaffer Mehlsack in seinen Armen.
    » Iswinite « , flüsterte er. Sein Atem streifte meine Haare und wärmte mein Gesicht.
    Ich verzieh ihm. Natürlich.
    Plötzlich stellte er mich wieder auf die Füße. Spitze Steine stachen durch die dünnen Sohlen meiner Turnschuhe. Schotter? Die Aufregung über den gemeinsam erlebten Lauf nahm mir die Luft und ich keuchte. Seine Atmung verriet mir, dass er überhaupt nicht erschöpft war. Als sich Schritte näherten, verlagerte er sein Gewicht.
    » Ach, da seid ihr ja. «
    Alexi.
    Er klang enttäuscht. » Sie kann wirklich nichts sehen? « Bestimmt testete er meine Sicht, aber ich wusste nicht wie. » Gut « , sagte er zufrieden. Dann schwieg er.
    Wieder pfiff der Zug.
    » Die Probe ist einfach « erklärte Alexi sachlich. » Du stehst einfach da– ganz ruhig– bis Pietr zu dir kommt. Halte deine Arme an der Seite. Rühr dich nicht und mach kein Geräusch. «
    Ich wollte fragen, was ich tun sollte, wenn meine Nase juckte– wollte die Atmosphäre etwas auflockern. Aber da ich nicht für die Festigkeit meiner Stimme garantieren konnte und nicht als Feigling dastehen wollte, nickte ich nur.
    » Du kannst immer noch abspringen « , lockte mich Alexi. » Du kannst Pietr trotzdem noch besuchen. «
    » Aber wenn ich abspringe, darf ich heute Nacht nicht mit ihm zusammen sein « , sagte ich. Na toll. Meine Stimme zitterte. Großartig.
    » Es gibt Dinge, die du nicht unbedingt wissen musst « , sagte Alexi. » Nicht jedes Rätsel fragt nach einer eindeutigen Antwort. Du kannst froh und unbeschwert nach Hause gehen, ohne das alles. «
    Die Verlockung, Pietrs Geheimnis zu erfahren, war zu groß. Ich richtete mich auf und reckte voller Empörung mein Kinn.
    » In ein paar Minuten ist alles vorbei « , fauchte Alexi.
    » Ich denke nicht… « , begann Pietr, aber Alexi herrschte ihn an. » Haruscho. Gut. Du sollst nicht denken, sondern deinem Bruder gehorchen! «
    Knirschend entfernten sich zwei Paar Füße von mir. Dann kam ein Paar wieder zurückgesprungen.
    » Es wird alles gut « , versprach Pietr. » Bleib einfach ruhig stehen. Egal was passiert. «
    Ich nickte.
    Er küsste mich. Einen Augenblick lang vergaß ich, wo ich mich befand. Ich erwiderte seinen Kuss. Dann entfernten sich seine Lippen und ich hörte das Knirschen und Reiben des Schotters, als er davonrannte. Und mir nichts, dir nichts fiel mir wieder ein, in welcher verzwickten Lage ich mich befand. Die Augenbinde trug dazu bei. Vielleicht küsste es sich gut mit geschlossenen Augen, aber die meiste Zeit meines Lebens verbrachte ich mit weit geöffneten Augen. Auch wenn ich absichtlich im Dunkeln gelassen wurde.
    Allein und blind wie ich war, versuchte ich, an alles Mögliche zu denken. An das Wetter. Genau. Frische Windböen, fallende Blätter, Rascheln unter den Füßen. Aha. Immer noch Herbst. Das wär’s. Dann versuchte ich es mit Gedanken, die mich mehr berührten als das Wetter und besser ablenkten. Ich stellte mir vor, wie ich auf Rio ritt und mit ihr Springen übte. Aber ich konnte meine bangen Gedanken nicht aussperren. Sie machten die verrücktesten Sprünge: Warum bist du hier? Wo ist » hier « ? Was willst du wirklich beweisen?
    Der Boden unter meinen Füßen war geschottert. Wieder pfiff der Zug. Diesmal noch lauter. Und eindeutig näher. Okay. Ich nagte auf meiner Unterlippe. Steinchen unter meinen Füßen. Ein herannahender Zug… dummes Mädchen! Ich erschrak bei diesem Gedanken. Stand ich mit verbundenen Augen auf einem Eisenbahngleis?
    Das Blut wich aus meinem Kopf, meinen Armen und meiner Brust und strömte wie flüssiges Blei in meine Beine. Ich war vor Schrecken wie versteinert.
    Der Schotter unter meinen Schuhsohlen vibrierte, sprengte gegen hölzerne Schlafwagen und metallene Gleise. Ich war mit einem Mal desorientiert. Der Zug, die Gleise… Alexis Worte zu Pietr, als ich sie über Skype belauschte. » Sie weiß bereits zu viel. «
    Und wenn Pietr nur glaubte, dass mir nichts passieren würde, Alexi aber beschlossen hatte, mich loszuwerden? Mein Herz gefror. Wenn ich hier sterben würde, jetzt– von einem Zug überrollt–, würde sich irgendjemand über die Umstände meines plötzlichen Todes wundern?
    Ich versuchte, den Kloß herunterzuschlucken, der

Weitere Kostenlose Bücher