Zwischen Mond und Versprechen
Derek auch für mich solche Wunder vollbringen konnte, würde ich nicht nur ungeschoren davonkommen, sondern auch noch heilig gesprochen werden.
Die Tür ging wieder auf. Mr Maloy plumpste auf den Stuhl, auf dem eben noch mein zukünftiger Retter gesessen hatte. Er hatte mehrere dicke Aktenordner dabei. Meine Zuversicht schwand, wusste ich doch, dass sie alle mit meinem Namen beschriftet waren.
Mr Maloy, der Beratungslehrer, hielt mein Leben in seinen Händen.
Ich kramte in meinem Rucksack und meinen Hosentaschen nach dem Troststein. Ich sagte nichts. Ich hatte schon früh die Erfahrung gemacht, dass zu viele Worte zur falschen Person manchmal schädlicher sein konnten, als die Dinge für sich zu behalten.
Mr Maloy erduldete drei Minuten lang mein eisernes Schweigen, dann räusperte er sich. » Du musst mit mir reden, sonst kann ich dir nicht helfen, Jessica. «
Er kam mir plötzlich vor wie ein bemühter Strafverteidiger, der seinen Mandaten anfleht zu kooperieren. Vielleicht war er deshalb Beratungslehrer geworden.
» Ich möchte dir helfen, Jessica. Mädchen wie du… «
Mein Kiefer verkrampfte. Nur weiter, dachte ich. Jetzt vergleichen Sie mich mit irgendeiner Fallstudie über Trauer und Adoleszenz. Sagen Sie mir, wie ich im Vergleich zu anderen gestörten Mädchen dastehe, die meiner Altersgruppe und meiner sozioökonomischen Klasse entsprechen.
Ich rieb mit dem Daumen über die gewölbte Seite des Pietersits, kreisförmig, langsam, konzentrierte mich darauf, ruhig zu bleiben. Ich stützte meine Wange auf meine Hand und starrte zu Boden und rieb und rieb an meinem Troststein, als könnte er meine Probleme ausradieren. Oder wenigsten Mr Maloy.
Wieder ging die Tür auf. Ich erblickte High Heels. Knallrot, als wollten sie sagen: » Schaut her zu mir! «
Ich riss meinen Kopf hoch.
» Hallo, Maloy. « Die Beratungslehrerin Mrs Harnek lächelte auf den mausgrauen Mann mit den quer gekämmten Haaren herab wie ein Racheengel, der vom Himmel gestiegen war, um seine armselige Haut zu retten. » Ich bin dazugebeten worden « , erklärte sie und tätschelte seine Schulter. Sie beugte sich vor und nahm ihm die Aktenmappen ab. Mit einer winzigen Handbewegung öffnete sie die oberste Mappe. Ein kurzer Blick und sie klappte sie wieder zu.
Er erhob sich, überrascht, aber auch sichtlich erleichtert.
Harnek drängte ihn zur Tür und sprach dabei in ihrer typischen Art, als wollte sie jemanden in ein Geheimnis einweihen, aber andere ebenfalls daran teilhaben lassen. » Sie ist ein harter Brocken, Maloy. Sie haben gute Arbeit geleistet– sie hat Ihnen weiß Gott nicht viele Ansatzpunkte gegeben, hat womöglich komplett dichtgemacht… «
Sein Nicken war Wasser auf ihre Mühlen. » Ja, habe ich auch schon erlebt, als sie noch in der Mittelstufe war. Ich habe noch eine Karte im Ärmel, die ich gern ausspielen würde… Nicht wahr? Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn ich den Fall übernehme? Sie sind der Beste, Maloy. Ich halte Sie auf dem Laufenden. « Mit diesem Versprechen öffnete sie die Tür und schob ihn hinaus.
Ich überlegte fast, ob die Harneks und die Jamiesons miteinander verwandt waren, sie waren so was von gewieft.
Die Tür fiel ins Schloss. Harnek ließ sich neben mir auf den Stuhl nieder, legte den Stapel Akten auf einen anderen leeren Stuhl und strich den Saum ihres Rocks glatt. Dann richtete sie das Wort an mich. » Na, du Schlägerin « , sagte sie schelmisch.
Ich stöhnte. Trotzdem fühlte ich mich um Längen besser. Ich kam mir vor wie in der Mittelstufe. Damals war ich alle Nase lang in ihr Büro gerannt war, weil sie die beliebteste Beratungslehrerin gewesen war. Man konnte mit ihr über alles reden. Nun trennten uns mehrere Jahre. Und ein Unglück. Harnek ging ganz locker damit um.
Sie tätschelte mein Knie. » Klingt, als hättest du in der Mädchenumkleide eine alte Rechnung beglichen. «
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte.
» Nur keine Panik. Als ich in deinem Alter war, habe ich so einer eingebildeten Schnepfe auch eine Abreibung erteilt. Die Sache ist die, Perlson will die Sache auf sich beruhen lassen, weil du eine gute Schülerin bist. Und alle wissen ja, was am siebzehnten passiert ist. «
Ich schluckte. Harnek wusste sogar noch das Datum.
» Du befindest dich also in einer Opferrolle. Das zählt zu deinen Gunsten. Aber Strafe muss sein, weil du gleich zwei Cheerleader weggehauen hast. « Sie pfiff leise, anerkennend. » Und auch wenn ihre Mütter nicht die Hellsten sind,
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