Zwischen Mond und Versprechen
Vergnügen « , meinte Perlson und lächelte noch liebenswürdiger, obwohl ich den Eindruck hatte, dass er sich nicht hinter seine sorgfältig zurechtgelegte Maske schauen ließ.
» Wir wissen alle, was Jessie in der jüngsten Vergangenheit erlebt hat « , begann Harnek.
Ich zog meinen Kopf ein, hörte die beiden aber zustimmend brummen. Unter ihren aufmerksamen Blicken lief mein Gesicht rot an. Ich machte mir Gedanken, welche Version der Geschehnisse sie gehört hatten. In einigen kam meine Familie günstiger weg als in anderen.
» Nun ja, Jessie hat in letzter Zeit jedenfalls viel durchgemacht. Und sie hat sich wirklich rührend um Sarah Luxom gekümmert… «
Ich zuckte bei der Erwähnung von Sarah zusammen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie hier zur Sprache kommen würde.
» Trotz ihrer vermutlichen Beteiligung an dem Unfall am siebzehnten Juni hat sie ihr dabei geholfen, sich wieder in das Schulleben einzufinden. «
» Bewundernswert « , murmelte Perlson. Ich sah unter meinen Ponysträhnen hindurch, wie er sich in seinem Stuhl zurücklehnte und den Abstand zwischen uns vergrößerte. » Aber sie ist beileibe keine Heilige. Sie hat zwei Cheerleader verprügelt. «
Verprügelt– ich wand mich bei diesem Wort.
Ich hatte den Eindruck, dass Harnek einen Blick auf die Uhr hinter Perlsons rundlicher Schulter warf, um Zeit zu schinden. » Selbst Jesus ist im Tempel ausgerastet « , entgegnete sie gelassen.
Die beiden Männer starrten sie ausdruckslos an.
» Ich möchte damit nur sagen– wenn wir Jessie mit Heiligen vergleichen wollen, sollten wir nicht vergessen, dass auch Heilige und Heilande nicht immer friedlich sind. «
Perlson zuckte mit einer Augenbraue. » Nichtsdestotrotz… «
Die Sprechanlage auf seinem Schreibtisch fing an zu knattern. » Derek Jamieson, Jenny Smailles und Macie Gunders sind da, Sir. «
» Ausgezeichnet. Sie sollen eintreten. « Er drückte einen Knopf und blickte Harnek mit seinen kühlen rabenschwarzen Augen an. » Wir wollen hören, was die Mädchen uns zu sagen haben, bevor wir über jemandes Schicksal entscheiden, einverstanden? «
In diesem Augenblick wurde mir klar, dass selbst seine schöne Stimme mit ihrem karibischen Rhythmus meine Situation nicht mehr schönreden konnte– falls er überhaupt etwas hatte schönreden wollen.
Die Tür zum Büro ging auf und Derek trat ein, einen ernsten Ausdruck auf seinem Sunnyboy-Gesicht. Mein Herz blieb beinahe stehen, und ich fragte mich, ob seine selbst auferlegte Rettungsaktion misslungen war. Er hielt die Tür auf und eine finster dreinschauende Macie trat ein. Ihre Oberlippe war zu einer unmöglichen Größe angeschwollen und blaurot verfärbt. Selbst mit ihrem herausragenden kosmetischen Können würde sie das kaum kaschieren können. Sie nahm Platz und sah mich böse an. Ich überlegte, ob Perlsons Strafe schlimmer sein konnte, als die Rache, die sie für mich ausbrütete.
Stille machte sich breit, als Jenny den Raum betrat. Sie zupfte an ihren blondierten Haarsträhnen, die ihr tief ins Gesicht fielen und ihr süßes Stupsnäschen (das von einem Eisbeutel verdeckt war) und ihr linkes Auge bedeckten.
Als Jenny sich setzte, fielen die Strähnen einen Augenblick nach hinten. Mir blieb fast die Luft weg. Die linke Wange war geschwollen und verfärbt, das Auge kaum noch zu sehen. Ob der Rest ihres Gesichts genauso aussah? Jedenfalls weit entfernt von dem Aussehen, das sie beim Schulball präsentieren wollte.
» Meine Damen « , begann Perlson sanft.
Ich wunderte mich über diese Ausdrucksweise, doch Jenny und Macie schienen sie angemessen zu finden, denn sie nickten in seine Richtung.
Derek setzte sich, nahm Jenny an der Hand und zog sie neben sich auf den Stuhl.
Ich erstarrte.
Er tätschelte beruhigend ihre Hand und flüsterte ermutigend in ihr Ohr. Sie lächelte mich an.
Ich saß stocksteif da. Das war ein Schlag ins Gesicht– ich fühlte mich verraten. Meine Stirn zog sich zusammen.
» Miss Gunders, könnten Sie uns bitte berichten, was heute in der Damenumkleide geschehen ist? « , bat Perlson.
Macie sah Jenny an. Sie tauschten einen Blick aus, den ich nicht einordnen konnte. Ich war sauer, offensichtlich kommunizierten die beliebten Mädchen auf einer anderen Wellenlänge als ich. Ihr Blick enthielt eine versteckte Botschaft.
Ich wusste, dass mein Schicksal in diesem einen Blick besiegelt wurde, aber ich konnte ihn nicht deuten. Ich konnte Shakespeare interpretieren, Freud analysieren, aber Cheerleader
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