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Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars

Titel: Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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immer gewesen, denn die Ähnlichkeit war unverkennbar.
    Wenn ich mich nicht gewaltig täusche, habe ich ein Foto der Mutter meines Vergewaltigers vor mir.

29
    Sie ging in die Küche und trank etwas Wasser, aber Wasser genügte diesmal nicht. Ganz hinten in ihrem Kühlschrank lag seit undenklichen Zeiten eine halbvolle Flasche Tequila. Tess holte sie heraus, überlegte, ob sie ein Glas brauchte, und nahm dann einen kleinen Schluck aus der Flasche. Das Zeug brannte in Mund und Kehle, wirkte sich sonst jedoch positiv aus. Sie trank noch einen Schluck - diesmal einen etwas größeren -, dann legte sie die Flasche zurück. Sie hatte nicht die Absicht, sich zu betrinken. Wenn sie jemals einen klaren Kopf gebraucht hatte, dann heute.
    Wut - der größte, tiefste Zorn ihres Erwachsenenlebens - hatte wie ein Fieber von ihr Besitz ergriffen. Aber es war kein Fieber wie alle anderen, die sie bisher kennengelernt hatte. Es kreiste wie ein unheimliches Serum in ihrem Körper: in der rechten Hälfte kalt, dann links, wo ihr Herz saß, heiß. Aber es schien nicht in die Nähe ihres Kopfs zu kommen, der klar blieb. Er war sogar klarer, seit sie den Tequila getrunken hatte.
    Sie ging mehrmals hastig im Kreis herum durch die Küche - den Kopf gesenkt, während sie sich mit einer Hand die Würgemale am Hals massierte. Ihr war nicht bewusst, dass sie auf die gleiche Weise durch ihre Küche lief, wie sie den verlassenen Laden umkreist hatte, nachdem sie aus der Wellblechröhre gekrochen war, die Big Driver zu ihrem Grab bestimmt hatte. Glaubte sie wirklich, dass Ramona Norville sie, Tess, ihrem psychotischen Sohn wie eine Art Opferlamm zugetrieben hatte? War das wahrscheinlich? Das war es nicht. Konnte sie auf der Basis eines schlechten Fotos und der eigenen Erinnerung auch nur annehmen, dass die beiden Mutter und Sohn waren?

    Aber mein Gedächtnis ist gut. Vor allem mein Gedächtnis für Gesichter.
    Nun, das glaubte sie zumindest, aber das tat vermutlich jeder. Richtig?
    Ja, und die ganze Idee ist verrückt. Das musst du zugeben.
    Das gab sie zu, aber in Fernsehsendungen über wahre Verbrechen (die sie sich häufig ansah) hatte sie schon verrücktere Dinge gesehen. Die Besitzerinnen eines Mietshauses in San Francisco, die jahrelang ältere Mieter ermordet und im Garten verscharrt hatten, um deren Rentenschecks zu kassieren. Den Flugkapitän, der seine Frau umgebracht und die Leiche dann tiefgekühlt hatte, um sie durch den Häcksler schieben zu können. Den Mann, der seine Kinder mit Benzin übergossen und wie Moorhühner aus Cornwall gegrillt hatte, damit seine Frau das ihr gerichtlich zugesprochene Sorgerecht niemals würde ausüben können. Eine Frau, die dem eigenen Sohn Opferlämmer zutrieb, war schockierend und unwahrscheinlich … aber nicht unmöglich. Was die verbrecherisch dunkle Seite des menschlichen Herzens betraf, schien es keine Grenze zu geben.
    »O Mann«, hörte sie sich mit einer Stimme sagen, die eine Mischung aus Zorn und Verzweiflung war. »O Mann, o Mann, o Mann.«
    Finde es heraus. Verschaff dir Gewissheit. Wenn du kannst.
    Tess setzte sich wieder an den Computer. Die Hände zitterten ihr so sehr, dass sie drei Anläufe brauchte, um COLEWICH FUHRUNTERNEHMEN ins Suchfeld der Google-Seite zu tippen. Nachdem sie es richtig hinbekommen hatte, drückte sie die Eingabetaste und sah sofort den gesuchten Namen ganz oben auf der Liste: RED HAWK TRUCKING. Als sie den Eintrag anklickte, gelangte sie zur Homepage von Red Hawk, auf der ein ruckelnd gezeichneter Sattelschlepper mit etwas, das wohl ein Habicht sein sollte, auf der Seite und einem bizarren Fahrer mit
Smiley-Kopf am Steuer zu sehen war. Der Truck fuhr von rechts nach links durchs Bild, machte einen Salto, kam dann nach rechts zurück und machte den nächsten Salto. Ein endloses Hin- und Herfahren. Über dem Zeichentrickfahrzeug blinkte in Rot, Weiß und Blau der Firmenslogan: LÄCHELN GEHÖRT ZUM SERVICE!
    Wer mehr als die Begrüßungsseite sehen wollte, hatte die Wahl zwischen vier, fünf Möglichkeiten, darunter Kontaktadresse, Frachttarife und Empfehlungen von zufriedenen Kunden. Tess übersprang sie und klickte auf die letzte, die SEHEN SIE SICH DIE NEUESTE ERGÄNZUNG UN-SERER FLOTTE AN! lautete. Und als das Foto erschien, fiel das letzte Stück des Puzzles an seinen Platz.
    Die Aufnahme war viel besser als die andere, die Ramona Norville auf der Treppe vor der Bibliothek zeigte. Auf diesem Foto saß Tess’ Vergewaltiger am Steuer eines auf Hochglanz

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