Zwischen Olivenhainen (German Edition)
Sie zog die Knie dicht an die Brust, schlang die Arme darum und kaute auf ihrer Unterlippe. Es waren gerade einmal einige Minuten verstrichen, da hörte sie erneut Schritte, die auf sie zukamen. Gehetzt blickte sie um sich, aber da war niemand.
Als Mr. Gosetti, gefolgt von zwei Polizisten, zwischen den alten Bäumen auftauchte, hielt Leslie entsetzt die Luft an. Hatten sie Raffaello festgenommen? Saß er bereits im Gefängnis? Großer Gott, sie hatte Mitleid mit einem Mörder! Für einen Mörder, für den sie diese elenden Gefühle nicht haben sollte. Das war nicht normal. Keiner verliebte sich in einen Verbrecher. Leslie fragte sich, ob Gosetti sie nun auch mitnehmen, sie ausfragen und einsperren würde, aber noch schien er sie nicht bemerkt zu haben. So schnell und vorsichtig sie konnte, huschte sie auf die andere Seite des alten Olivenbaumes und drückte sich mit dem Rücken gegen den Stamm. Sie hielt die Luft an. Betete, dass Gosetti sie nicht sehen würde. Und das Glück schien auf ihrer Seite zu sein.
Vorsichtig, sorgsam darauf achtend, das dürre Gras nicht zum Knacken zu bringen, beugte sich Leslie um den Stamm und linste dahinter hervor. Mr. Gosetti und seine beiden Begleiter standen drei Meter neben der Stelle, an der Francesco gelegen hatte, und unterhielten sich leise auf Italienisch. Mist Sie hätte alles dafür gegeben, um verstehen zu können, um was es ging. Die beiden Polizisten sahen sich um. Hatten sie sie bemerkt? Oh, Shit , dachte Leslie panisch und zog sich leise zurück. Wartete. Hielt die Luft an. Ihre Lungen drohten zu zerbersten. Grillen zirpten. Die Männer schwiegen oder sprachen sehr leise. Dann, nach einer halben Ewigkeit, entfernten sich die Schritte der Drei. Leslie atmete auf. Blieb sitzen, wo sie war. Hatten sie nicht den Blutfleck bemerkt? Sie fragte sich, wonach sie eigentlich gesucht hatten.
Ein Adrenalinstoß schoss durch ihren Körper, als sie daran dachte, ob sie Raffaello mitgenommen hatten. Bitte nicht, flehte sie in Gedanken und wusste gleichzeitig, dass es falsch war. Und dann stand sie einfach auf, kam um den Baum herum, und rannte so schnell sie konnte die Allee aus Olivenbäumen entlang. Auf den Pool, auf Raffaellos Haus zu. Das Gras stach ihr in die Fußsohlen, aber das war ihr egal. Sie wollte nur wissen, was mit Raffaello passiert war. Ob er ein Mörder war oder nicht, war im Moment egal.
Die Tür zur Terrasse stand offen, als Leslie beim Haus ankam. Ihr Herz schlug schneller und sie blieb wie angewurzelt stehen, als sie eintrat und Raffaello auf dem schwarzen Sofa sitzen sah. Er hatte sich umgezogen, trug jetzt nur noch eine kurze Jeanshose und ein weißes Trägershirt. Sein Haar war feucht und noch schwärzer, als sonst, offenbar war er unter der Dusche gewesen. Jedenfalls wirkte er frischer. Er sah zu ihr auf, als sie auf der Türschwelle erschien, ihre nassen Kleider unter dem Arm und nur in seinem blauen Hemd, das ihr viel zu groß war. Die Ärmel hatte sie hochgekrempelt.
„Ich hatte schon befürchtet, du kommst gar nicht mehr“, sagte er und lächelte schwach. Leslie schluckte. Sie traute sich nicht ins Wohnzimmer, wo er war. Er sagte eine ganze Weile lang nichts. Leslie auch nicht. Sie stand bloß im Türrahmen, regungslos, und sah ihn an. Er erwiderte ihren Blick, ohne zu blinzeln.
„Ich … dachte, Gosetti hätte dich mitgenommen“, brachte sie schließlich hervor. Sie räusperte sich. Ihr Mund war noch immer furchtbar trocken. Raffaello lächelte.
„Nein“, sagte er, „hat er nicht. Er war nur ein bisschen hysterisch. Ich ließ ihn sich umsehen, nachdem er darauf bestand. Hat er dich gefunden?“ Sie antwortete nicht auf seine Frage.
„Sie haben … ihn weggebracht“, sagte sie stattdessen. Er wusste genau, wen sie meinte.
„Ja, ich weiß“, sagte er.
„Gosetti wird dir nichts nachweisen können.“
„Hm. Mal sehen.“ Ohne es zu wollen, setzte sich Leslie neben ihn auf das Sofa. Mit zwei Meter Abstand zwischen ihnen.
„Da … ist ein Blutfleck“, murmelte sie leise. „Den hat Gosetti übersehen.“ Doch das schien ihn kalt zu lassen.
„Du solltest aufhören, darüber zu reden, Leslie“, sagte er nur. „Das macht es nicht einfacher für dich.“
„Und wenn ich das nicht will?“, entgegnete sie leise. Er zuckte die Schultern, sagte aber nichts. Sah ihr auch nicht in die Augen, sondern blickte mit leerem Blick an ihr vorbei. Die Uhr an der Wand tickte laut. Viel zu laut.
„Was ist das für ein schreckliches Geheimnis,
Weitere Kostenlose Bücher