Zwischen Olivenhainen (German Edition)
hoffte, ihr T-Shirt würde bald trocknen und Francesco verschwinden. Aber der dachte scheinbar nicht im Geringsten daran.
Raffaello und sein Bruder fingen wieder an, Italienisch zu reden und einmal mehr ärgerte sich Leslie darüber, dass sie keinen Italienischkurs gemacht hatte. Sie würde Raffaello bitten, ihr die wichtigsten Wörter beizubringen. Hoffentlich tat er das auch. Ohne ihre Absichten zu durchschauen.
„Leslie“, sagte Raffaello irgendwann, drehte sich zu ihr um und musterte sie von oben bis unten. „Ich … werde dir was Trockenes zum Anziehen holen. Bleib da stehen, sprich bloß nicht mit meinem Bruder – ich bin gleich zurück.“ Er wandte sich an Francesco und zischte ihm irgendetwas zu, doch der schien nicht im Mindesten beeindruckt. Er blickte zu Leslie herüber, als Raffaello hinter dem Haus verschwunden war, dann kam er zu ihr auf die andere Seite des Pools. Die Hände lässig in den Hosentaschen vergraben. Er lächelte sogar – und Leslie bemerkte mit Schrecken, wie ähnlich es dem von Raffaello war.
„Er scheint dich wirklich gern zu haben“, sagte Francesco nachdenklich, als er bei ihr angekommen war. „Tut mir übrigens leid, dass wir uns am Mittwoch unter solchen … ‚Umständen‘ kennengelernt haben.“
Was sollte das werden? Schleimerei? Oder einfach nur Höflichkeit? Aber dafür lag eine Ernsthaftigkeit in seiner Stimme, die nicht ganz passen wollte. Unruhig trat Leslie von einem Fuß auf den anderen. Wo zur Hölle blieb Raffaello nur? Es konnte doch nicht so lange dauern, ein T-Shirt aus dem Schrank zu holen.
„Gehen wir ein Stück?“, fragte Francesco, aber es war keine Frage. Er deutete mit dem Kopf auf die alten, knorrigen Olivenbäume, die sich vor ihnen erstreckten. Nein, wollte Leslie sagen, ich bleibe hier und warte auf Raffaello, aber da war Francesco schon vorausgegangen. Zögernd, die Arme noch immer vor der Brust verschränkt, folgte sie ihm in den Olivenhain. Das trockene, hohe Gras stach ihr in Füße und Waden. Grillen zirpten um sie herum. Hitze stieg von dem harten Boden auf, obwohl die dichten Äste der Olivenbäume reichlich Schatten spendeten.
„Ich werde dir jetzt etwas erzählen“, sagte Francesco und irgendwie fand Leslie ihn nicht mehr ganz so unangenehm, wie bei ihrer ersten Begegnung. Vielleicht, weil er von hinten so aussah, wie Raffaello – nur, dass dieser sein störrisches Haar nicht mit Gel in den Griff bekam. Francesco drehte sich zu ihr um. Er wirkte todernst. Dann holte er etwas aus seiner Anzugtasche hervor und reichte es ihr. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie die Polizeimarke in den Händen hielt, und da begriff sie, warum sich Raffaello seinem Bruder gegenüber so misstrauisch und kühl verhielt.
„Ganz richtig“, sagte Francesco und nahm seine Dienstmarke wieder entgegen. „Ich bin Polizist. Mafia-Jäger. Ein Cop , wie sie es in den Filmen aus Amerika immer nennen.“ Er lächelte, aber es wirkte eine Spur zu ernst. „Als Erstes hätte ich gerne gewusst, ob du etwas weißt“, sagte er und blickte ihr mit stechendem Blick in die Augen. Was sollte das denn? Er fing schon an, wie Gosetti!
„Worüber?“, entgegnete sie. Francesco seufzte.
„‚Darüber‘“, sagte er, „über den ‚Stand der Dinge‘! Das ‚Projekt‘.“
„Was soll das?“, fragte sie. „Arbeiten Sie mit Gosetti zusammen? Wenn ja, können Sie ihm ausrichten, dass –“
„Du weißt es wirklich nicht. Schon kapiert“, sagte er und hob die Hände. Dann schlenderte er tiefer in die Allee aus Olivenbäumen hinein und Leslie folgte ihm. Dieses Mal aus purer Neugier. Wahrscheinlich war genau das sein Plan gewesen.
„Was weiß ich nicht?“, rief sie ihm nach und lief ein paar Schritte, um mit ihm mithalten zu können. „Sie hätten die blöden Andeutungen lassen sollen. Wenn ich ‚es‘ nicht weiß, will ich es jetzt wissen!“ Francesco blieb stehen. Musterte sie fast mitleidig.
„Ich denke, du würdest mir ohnehin nicht glauben“, sagte er. „Aber wir haben alle Beweise, die wir brauchen. Und mein Bruder hat die geschmierten Richter und wer weiß wen sonst noch. Pech für uns.“ Er lachte trocken auf. Was um Himmels Willen faselte er da? Legte er es darauf an, sie auf die Folter zu spannen?
„Interessiert mich nicht, von was Sie sprechen“, sagte Leslie trotzig. Vielleicht funktionierte es ja so. Francesco wirkte nicht überrascht. Er holte bloß tief Luft, dann senkte er die Stimme, als habe er Angst, jemand, vielleicht
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