Zwischen Olivenhainen (German Edition)
der Mann ging gar nicht auf ihre Frage ein.
„Muss ich Sie noch einmal bitten oder folgen Sie mir jetzt?“, fragte er ohne jede Gefühlsregung in der Stimme. Trotzig verzog Leslie das Gesicht. Das konnte er vergessen.
„Wer sind Sie?“, entgegnete sie verärgert. „Schickt Sie irgendwer? Wenn ja, würde ich gerne wissen, wer das ist, damit ich ihm in aller Deutlichkeit sagen kann, was ich davon halte!“ Jetzt lachte der Mann auf.
„Er lässt sich von niemandem etwas sagen, glauben Sie mir“, sagte er, dann wurde er wieder todernst. „In meiner Jackentasche befindet sich eine Pistole. Sie ist auf Sie gerichtet“, sagte er ruhig. „Kommen Sie mit.“ Das Blut gefror ihr in den Adern. Du lieber Himmel, wollte er sie erschießen?! Doch sie zwang sich zur Ruhe. Es gab zwei Möglichkeiten. Entweder war es jemand von Gosettis Leuten, oder aber …
„Wurden Sie von Raffaello Ruggiero geschickt?“, fragte sie ihn.
Keine Antwort. Er nahm sie einfach am Arm und zog sie mit sich auf die andere Straßenseite, geradewegs auf ein dort parkendes, schwarzes Auto zu. Er öffnete die Tür zum Rücksitz und nickte Leslie zu. Zögernd, noch immer darauf hoffend, dass er vielleicht von Gosetti oder Raffaello geschickt worden war – obwohl sie mit Grauen auch Spavento in Erwägung zog, wenn sie daran dachte, was Raffaello von ihm erzählt hatte – kletterte sie ins Auto. Auf dem Fahrersitz saß ein zweiter Mann im Anzug. Der andere zog die Tür hinter sich zu. Offenbar machte es den beiden nicht im Geringsten etwas aus, auf offener Straße und am helllichten Tag ein Mädchen zu entführen. Das laute Klacken der Türsicherung ließ Leslie zusammenzucken.
Oh Gott. Sie war gefangen. Mit zwei Anzugheinis und einer Pistole. Großer Gott! Sie hatte das ungute Gefühl, dass sie dieses Auto nicht lebend verlassen würde.
„Entspannen Sie sich einfach“, sagte der Mann am Steuer. Er war jünger. Und er klang nicht so schrecklich monoton.
„Sie haben gut reden!“, pflaumte sie ihn an. „Ich will sofort hier raus! Oder ich trommle gegen die Scheiben!“ Der Mann auf dem Beifahrersitz zog seine Waffe.
„Nehmen Sie das Ding runter!“, kreischte Leslie erschrocken.
„Werden Sie sich ruhig verhalten?“, fragte er. „Man hat uns bereits gesagt, dass Sie wahrscheinlich nicht ganz einfach zu überzeugen wären.“
„Vergessen Sie das mit dem Entspannen!“, knurrte Leslie wütend. Aber die Pistole hatte ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt. Sie hasste Waffen. Egal, welcher Art. Und ganz besonders solche, die sich auf engstem Raum mit ihr befanden.
Der Wagen fuhr los. Fast lautlos glitt er durch die Straßen von Mondello, bog schließlich auf die Autobahn ab.
„Wo bringen Sie mich hin?“, fragte Leslie. Keine Antwort. Etwas Anderes hatte sie auch nicht erwartet.
Die Fahrt dauerte endlos lange. Mit der Zeit ließ der Schock nach und machte der Panik Platz, die in ihrem Magen hochkroch. Erst jetzt sickerte die Tatsache ganz langsam zu ihr durch, dass sie entführt worden war. In einem verschlossenen Auto saß. Mit einer Pistole bedroht worden war. Wo würde die Fahrt enden? In einem Bestattungsinstitut vielleicht? Wenn sie schon längst nicht mehr am Leben war?
Sie fragte sich, ob Anne und Antonio schon nach ihr suchten. Sie würden ausflippen, wenn sie bemerkten, dass sie weg war. Wie vom Erdboden verschluckt. Genau wie die unliebsamen Zeugen, von denen Antonio erzählt hatte. Eine Gänsehaut lief ihr den Rücken hinab. Beinahe hätte sie die beiden Männer gefragt, ob sie vorhatten sie umzubringen, aber sie hielt die Klappe. Erneut in den Lauf dieser Pistole blicken, wollte sie nicht.
Irgendwann, als sie sicher war, dass die beiden damit beschäftigt waren, aus dem Fenster zu schauen, tastete sie vorsichtig mit einer Hand in ihrer Tasche nach ihrem Handy. Millimeter um Millimeter schob sie die Finger vorwärts, sorgsam darauf achtend kein Geräusch zu verursachen, ihre beiden Entführer immer im Blick behaltend. Da war es. Sie umschloss es fest mit den Fingern, zog es ganz langsam zu sich heraus – und versteckte es dann blitzschnell unter ihrem T-Shirt. Sie blickte auf. Keiner der beiden hatte etwas bemerkt. Erleichtert atmete Leslie auf. Dann tippte sie hastig eine SMS an Raffaello:
„Bin entführt worden! Mondello.
Die haben Pistole!!! Schwarzes Auto, Anzugtypen!
Hilfe, verflucht! Ich will nicht sterben!“
Der leise Piepton, mit dem sie den Text abschickte, ließ die Männer zusammenzucken. Scheiße.
Weitere Kostenlose Bücher