Zwischen Olivenhainen (German Edition)
ihren Händen, das Anne ihr nicht entrissen hatte. Ein einziger zerstörter Schrotthaufen war darauf zu sehen. Eine Wagentür konnte sie erkennen. Rot. Und ein Wort war nicht ganz beschädigt worden: ‚ Albertos Piz –‘ Das reichte. Es war Antonios Lieferwagen. Schwarz verkohlt, rußig und in Trümmern, auseinandergerissen von der Wucht der Explosion. Von Antonio selbst war nichts zu sehen – oder von dem, was von ihm übrig war. Mit einem Mal wurde ihr schlecht. Entsetzlich schlecht. Sie versuchte erst gar nicht sich zurückzuhalten und im nächsten Moment erbrach sie sich direkt neben Gosettis Schuhe, ließ das Foto fallen. Sie wartete auf die Tränen, die ihr die Sicht verschleiern würden, doch sie kamen nicht. Da war nur Entsetzen. Angst. Und Fassungslosigkeit. Darüber, dass Raffaello zu so etwas fähig gewesen war. Dass er Antonio das angetan hatte. Dass er ihr das angetan hatte. Ohne darüber nachzudenken, was es für sie bedeutete. Stumm hob sie das Foto vom Boden auf, legte es vor sich auf den Tisch, drehte es um, damit sie es nicht sehen musste. Aber das half nichts. Vor ihrem geistigen Auge blitzten die Bilder auf. Wie Antonio den Motor startete, nur um im selben Moment zerfetzt zu werden. Wie Splitter und Teile seines Autos durch die Luft flogen. Sie meinte sogar den Knall zu hören und das entsetzte Aufschreien der Passanten. Was hatte er vor ein paar Tagen zu ihr gesagt? „ Ich weiß ganz genau, worauf ich mich da eingelassen habe. “
Hatte er es gewusst? Dass er sterben würde? So wie Francesco es gewusst hatte? Sie dachte an Raffaello. An sein unbeschwertes Lächeln, das im Krankenhaus auf seinen Lippen gelegen hatte, erinnerte sich daran, dass er sie gebeten hatte, gegen ihren Willen mit Gosetti zu sprechen.
„ Es gab gewisse Dinge zu erledigen “, hallte seine Stimme in ihrem Kopf nach. „ Danach solltest du mich nicht fragen, Leslie. “ Sie schluckte. Hatte er es gewusst? Dass es Antonio gewesen war, der ihn an Spavento verraten hatte? Sicher hat er das, dachte sie, irgendwie erfährt er immer alles, was er wissen will. Immer. Sie fragte sich erst gar nicht, woher und wie er an solche Informationen kam. Er hatte es gewusst, allein das zählte. Er hatte es gewusst und gehandelt. Rache. Nur das war es gewesen. Weil Raffaello davon überzeugt, weil er in seinem Stolz verletzt gewesen war, hatte Antonio sterben müssen. Diese Tatsache erschreckte sie so sehr, dass sie schauderte. Dass Antonio Raffaello verraten und ausgeliefert hatte, schien weit in ihren Hinterkopf verbannt.
„Eine Autobombe“, sagte Gosetti seelenruhig. Er stand noch immer direkt vor ihr, ließ sie keine Sekunde aus den Augen. Um die fassungslose Anne kümmerte sich einer seiner jüngeren Kollegen, vermutlich der, von dem sie behauptet hatte, er sei in sie verknallt. Die anderen Beamten standen regungslos im Türrahmen und schienen auf Anweisungen ihres Chefs zu warten.
„Ein einfaches Modell, das man überall kriegen kann“, fuhr der Commissario fort. „Die Bombe hatte gewisse Ähnlichkeiten mit der, mit der die beiden Richter damals ermordet wurden, 1992, Falcone und Borsellino.“ Er seufzte.
„Wir hatten Ruggiero damals in Verdacht, da mit drin zu hängen, also seinen Vater, aber wir hatten zu wenig, um ihm irgendetwas nachzuweisen. Wie immer. Aber das wird sich ändern, glaub mir, Leslie.“ Nun ließ er sich doch neben ihr auf dem Sofa nieder.
„Leslie“, sagte er dann eindringlich und sie wagte es nicht zu ihm herüberzusehen, „Leslie, hast du Ruggiero davon erzählt, dass Antonio Kontakt zu Spavento hatte?“ Sie antwortete nicht. Brachte keinen Ton über die Lippen, obwohl sie sich ihrer Unschuld genau bewusst war. Sie war keine Verräterin.
„Leslie!“
„Was?!“, fuhr sie ihn an und beinahe musste sie wieder weinen.
„Hast du etwas erzählt?“
„Nein!“, gab sie zurück. Ihre Stimme zitterte. „Ich habe nichts gesagt, kapiert?! Ich habe keine Ahnung, wie Raffaello davon erfahren hat – aber, verfluchte Scheiße, woher wollen Sie eigentlich wissen, dass er es war?! Es könnte doch auch Spavento gewesen –“
„Leslie!!“, kreischte Anne da und sprang auf. „Wann, verflucht noch mal, hörst du auf den Typen zu verteidigen?! Er ist ein Mörder, ein gottverdammter Mafiaboss, der über Leichen geht! Kapier das endlich!“ Dann hielt sie den Mund. Sie sagte nichts mehr, saß nur noch wie ein Häufchen Elend neben Gosettis Kollegen, der ihr einen Arm um die Schultern gelegt
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