Zwischen Olivenhainen (German Edition)
sie klang. Anne spielte mit den Fingern an der Kerze herum, kratzte Wachs ab. Rot wie Blut fiel es auf die Tischplatte und glitzerte schwach im Licht der Flamme zu ihnen auf.
„Dein Raffaello hat ihn dafür umgebracht“, entgegnete Anne und sie klang dabei todmüde. „Wahrscheinlich hat er nur jemandem Anweisungen gegeben, sich zurückgelehnt in seinem Patensessel und zufrieden registriert, wie Antonio in die Luft geflogen ist. Leslie, wenn ich nicht wüsste, dass ich dir damit das Herz brechen würde, würde ich den Typen gnadenlos umlegen!“ Leslie antwortete nicht. Starrte nur verbissen in die Flamme.
„Erinnerst du dich noch daran, wie er seinen Bruder umgebracht hat?“, sagte Anne kühl. Zögernd nickte Leslie. Anne schnaubte verächtlich durch die Nase.
„Ich hab’ einiges von Gosetti erfahren“, sagte sie. Leslie war sich nicht sicher, ob sie es hören wollte. Ob sie die Wahrheit erfahren wollte, die Francesco ihr nicht mehr hatte sagen können. Ob Raffaello wirklich am Tod seines Vaters beteiligt gewesen war. Vor allem war sie sich nicht sicher, ob sie es von Anne hören wollte.
„Ich glaube, ich kann’s dir nicht sagen, Leslie“, flüsterte Anne. „So gerne ich es tun würde, um dir endlich die Augen zu öffnen. Aber es ist besser, wenn du da weitermachst, wo du aufgehört hast mit ihm und es nicht erfährst … Ich will nicht, dass es dir schlecht geht. Er will nicht, dass du die Wahrheit erfährst – und vielleicht ist das besser so.“ Die Kraftlosigkeit in Annes Stimme ließ Leslie schaudern. Sie wollte nicht darüber nachdenken, ob das, was sie sagte, der Wahrheit entsprach oder nicht, hatte nicht mehr die Kraft über Raffaello nachzudenken. Und ihn von Anne als den Bösen dargestellt zu bekommen. Und sie wusste genau, dass Anne recht hatte. Dass sie das von Anfang an gehabt hatte. Aber jetzt war es zu spät.
„Ich weiß, wer er ist“, sagte Leslie leise. „Ich weiß, was er tut, was er getan hat … Aber ich –“
„Aber du liebst ihn, hab’ ich recht?“, sagte Anne matt. Leslie schlug die Augen nieder und sah auf ihre Hände. Versuchte, nicht darüber nachzudenken, was richtig war und was falsch. Und dann, nach einer halben Ewigkeit, nickte sie. Als sie wieder zu Anne aufsah, konnte sie Tränen in ihren blauen Augen schimmern sehen. Das flackernde Licht der Kerze spiegelte sich darin. Es sah aus, als stünden ihre Augen in Flammen.
„Das ist gut“, flüsterte sie mit erstickter Stimme, „dass du ihn liebst, obwohl er es nicht verdient hat.“ Und dann stand sie einfach auf, trat auf Leslie zu und umarmte sie so fest, dass ihr die Luft wegblieb.
„Ich will nur, dass es dir gut geht“, flüsterte sie. „Aber ich glaube nicht, dass es dir gut geht …“ Eine ganze Weile lang schluchzte sie in Leslies Bluse hinein, dann ließ sie sie mit einem Ruck los und wischte sich über die Augen.
„Ich denke, ich höre auf, dir in deine Angelegenheiten reinzureden“, murmelte sie. „Ich vertraue dir einfach. Vielleicht funktioniert es ja mit dir und … ihm.“ Vorsichtig sah Leslie zu ihr auf.
„Vielleicht“, sagte sie nur leise und ergriff Annes Hand. Eine ganze Weile standen sie Hand in Hand in der dunklen Küche, sahen der Kerze zu, die allmählich immer weiter abbrannte, bis sie schließlich ganz erlosch. Es war stockdunkel im Raum.
„Ich will nach Hause“, flüsterte Anne irgendwann – und dabei klang sie so entsetzlich traurig, dass Leslie sie beinahe umarmt hätte. Aber das tat sie nicht. Sie drückte nur ihre Hand und sagte kein Wort.
In dieser Nacht tat keine der beiden ein Auge zu, und als der Morgen graute, begann Leslie, unruhig im Wohnzimmer auf und abzugehen. Immer wieder schielte sie zur Tür, wartete darauf, dass jemand anklopfen würde. Um Punkt sieben war es soweit. Nach einigen Sekunden der Starre, in der die widersprüchlichsten Gefühle in ihr hochkochten, hechtete Leslie zur Tür und riss sie auf. Doch es war nicht Raffaello, der da vor ihr stand. Es war Mario. In Anzug und Krawatte. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, die sonst so fröhlich blitzenden graublauen Augen blickten Leslie ernst und ein wenig müde entgegen und um seine Mundwinkel spielte ein erschöpftes Lächeln.
„Hi, Leslie“, sagte er, doch sie blieb stehen, wo sie war. Im Türrahmen, sah ihm nur entgegen, ohne die Miene zu verziehen – und dachte daran, was Gosetti über Raffaello gesagt hatte: „ Wenn er sich denn überhaupt traut … “ In diesem Moment
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