Zwischen Olivenhainen (German Edition)
ankam.
„Leslie“, sagte sie, „warum – was sollte das? Du kannst ihn doch nicht –“.
„Ach?“, entgegnete Leslie patzig. „Ich hatte allen Grund dazu! Er hat Raffaello verraten, kapierst du das nicht?! Verraten! Wegen ihm wäre er jetzt tot!“ Sie merkte nicht, dass ihr die Tränen in die Augen gestiegen waren. Erst, als sie ihr in heißen Rinnsalen die Wangen hinab liefen. Wütend wischte sie sie weg.
„Er wäre tot wegen ihm …“, wiederholte sie mit erstickter Stimme und da zog Anne sie einfach an sich und umarmte sie.
„Komm mit hoch“, sagte sie leise, „du solltest dich ausruhen.“ Leslie folgte ihr das düstere Treppenhaus hinauf, aber als sie wenig später neben Anne auf dem alten, braunen Sofa in Antonios Wohnung saß, beschloss sie, sich so lange nicht auszuruhen, bis Antonio ihr Rede und Antwort gestanden und sie Raffaello angerufen hatte.
Es war schon spät in der Nacht, als Leslie hörte, wie Antonio den Schlüssel im Türschloss herumdrehte. Sie hatte es sich auf dem alten Sofa mehr oder weniger bequem gemacht, nachdem Anne, ohne ein Wort zu sagen, in das Gästezimmer verschwunden war, das Antonio für sie aufgeräumt hatte. Der ganze alte Krempel, der sich darin gestaut hatte, lag nun verstreut überall im Wohnzimmer herum. Alte Spiele, Pizzakartons, Bücher, Zeitschriften. Und Leslie hatte das Zimmer verächtlich unter die Lupe genommen, als sie mit Anne eingetreten war. Dabei war es ihr herzlich egal, wie es um sie herum aussah. Jetzt zählte nur eins. Antonio.
Als er nun tatsächlich vorsichtig den Kopf durch die Tür streckte, überkam sie erneut schreckliche Wut und gleichzeitig eine solche Verzweiflung, dass sie sich fest auf die Unterlippe biss, um nicht loszuheulen. Antonio hatte Raffaello verraten. Mit voller Absicht hatte er ihn in den Tod schicken wollen. Sie erinnerte sich an die vielen Tage, die sie zusammen mit Anne und Antonio in der kleinen Bucht verbracht hatte. Fröhlich, entspannt und viel zu gutgläubig war sie gewesen, dachte sie, er ist ein Scheißkerl. Und plötzlich hasste sie sich dafür, dass sie auf seine Freundschaft hereingefallen war. Und dafür, dass sie das dachte.
Sie versteckte sich hinter ihrem Pokerface und wartete, dass Antonio sie bemerkte. Als er sie sah, wie sie in völliger Dunkelheit auf dem Sofa saß, ein Weinglas mit Orangensaft in den Händen, das sie hin und herschwenkte, blieb er auf der Stelle stehen. Und sah sie nur an. Sagte kein Wort. Leslie erwiderte seinen Blick, musterte ihn ganz genau von oben bis unten. Das schwache Mondlicht, das durch das schmale Fenster direkt über der Couch ins Zimmer fiel, tauchte seine Züge in silbriges Licht und sie konnte die Stellen erkennen, die vorhin von ihrer Handfläche getroffen worden waren. Die Hälfte seiner Lippen und die linke Wange waren gerötet, ein wenig blau sogar. Sie schluckte. Sie hätte nicht gedacht, dass sie so hart zuschlagen konnte.
Sie blickte ihm fest in die Augen, nahm jede Regung in seinem müden Gesicht wahr – bis er irgendwann den Blick senkte, weil er es nicht mehr länger aushielt. Oder weil ihm die Schuld zu sehr in den Augen brennt, dachte Leslie grimmig. Weil er genau weiß, dass ich es weiß. Langsam, ganz langsam, den Blick jede Sekunde auf Leslie gerichtet, als befürchte er, sie könne jederzeit eine Pistole ziehen, um ihn zu erschießen, stellte Antonio seinen Rucksack neben der Tür in das Chaos von Pizzakartons ab, dann richtete er sich genauso langsam wieder auf und kam auf sie zu. Ließ sich vor ihr auf dem Wohnzimmertisch nieder und blickte ihr mit derselben Gleichgültigkeit in die Augen, die sie vorhin bei Anne bemerkt hatte. Er wirkte so anders. So schrecklich verändert.
„Ich weiß ganz genau, worauf ich mich eingelassen habe“, sagte Antonio irgendwann. Seine Stimme klang fremd. Ekelhaft fremd in ihren Ohren. So vertraut und gleichzeitig so anders. Die unbeschwerte Fröhlichkeit, die immer in seiner Stimme gelegen hatte, schien mit einem Mal verschwunden zu sein. Vielleicht war es auch nicht Antonio, der da vor ihr saß. Mit Pokerface und dem hässlichen Siegel des Verrats auf der Stirn.
„Warum hast du’s getan?“, brachte Leslie schließlich über die Lippen, doch die Wut, die ihr vorhin geholfen hatte, seinen Anblick zu ertragen, war verschwunden. Zurückgeblieben war nur Leere. Und Müdigkeit. Antonio senkte den Blick, bevor er ihr wieder fest in die Augen sah.
„Weil endlich irgendwas passieren musste“, sagte er und in
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