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Zwischen Olivenhainen (German Edition)

Zwischen Olivenhainen (German Edition)

Titel: Zwischen Olivenhainen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Wirthl
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Überraschung auf seinem schönen Gesicht. Er lächelte sogar.
    „Lass das“, sagte er kühl. Sie packte die Pistole fester, atmete viel zu schnell. Ihre Knie zitterten. Sie dachte an Antonio. Daran, was Anne gesagt hatte: „ Er ist ein gottverdammter Mafiaboss, der über Leichen geht! “, hallte ihre Stimme in ihrem Kopf wider.
    „Sag es mir“, presste sie dann hervor. „Warst du es?“ Natürlich war er es, dachte sie. Und plötzlich spürte sie, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, ob vor Fassungslosigkeit über sich selbst oder darüber, dass sie noch immer hoffte, er könne es nicht getan haben, wusste sie nicht. Sie versuchte die Verzweiflung herunterzuschlucken. Ein stechender Schmerz loderte in ihrem Hals auf. Der Kloß saß zu fest. Raffaellos Miene regte sich nicht. Eine vollkommene Maske hatte sich auf sein Gesicht gelegt. Ein Pokerface. Und Gott wusste, was er gerade darunter dachte. Sie ließ den Blick über seine so vertraute Statur wandern, bemerkte das dicke Pflaster, das sich unter seinem Hemd auf seiner rechten Schulter abzeichnete. Er fuhr sich kurz mit der Zunge über die Lippen, eine Reaktion auf Stress, wie sie in letzter Zeit festgestellt hatte. Das wirre, schwarze Haar warf dunkle Schatten auf sein Gesicht. Er antwortete nicht. Sah sie nur an, aus tiefbraunen, fast schon gefühllosen Augen. Leslie entsicherte die Waffe, wusste nicht einmal, ob sie noch geladen war oder nicht. Aber das war egal. Dieses vertraute, verstörende Geräusch ließ sie erschrocken zusammenzucken. Mit einem Mal wurde ihr schlecht. Speiübel. Ihr Herz schien mit voller Absicht hart gegen ihren Magen zu schlagen. Fast tat es schon weh.
    „Warst du es?“, rief sie und plötzlich meinte sie nachvollziehen zu können, was Anne durchmachte. Zitterte ihre Stimme? Wahrscheinlich, aber sollte es so sein, nahm sie es nicht wahr. Nur die Stille drang an ihre Ohren.
    Langsam, ganz langsam, kam Raffaello auf sie zu. Er hob die Hände, als wolle er sie beruhigen, wie ein panisches Pferd. Sie bemerkte die Schweißperlen, die sich auf seiner Stirn und über der Oberlippe gebildet hatten. Er atmete ruhig. So ruhig. Und er unterbrach kein einziges Mal den Blickkontakt zu ihr. Fast war es ihr, als wüsste er genau, dass sie niemals schießen würde. Ihre Knie wollten nachgeben, doch sie duldete es nicht.
    „Warst du es?“, schrie sie ihn an, mehr vor Wut auf sich selbst, als auf ihn. Bloß, um ihn von sich fernzuhalten. Aber er kam näher. Er war jetzt so dicht vor ihr, dass der Lauf der Pistole seine Brust berührte.
    „Leslie“, sagte er leise. Seine Stimme ließ sie erschauern, als ihr klar wurde, wie sehr sie diesen Klang vermisst hatte.
    „Halt die Kla–“ Sie verschluckte sich an ihren eigenen Tränen. Hustete. Würgte. Konnte den Blick nicht von Raffaello abwenden.
    „Leslie, leg das Ding weg“, sagte er. Seine Stimme zitterte nicht. Er war die Ruhe selbst. Und dann hielt er plötzlich ihre Waffe in der Hand. Er richtete die Pistole auf Leslie, sicherte sie, aber sie starrte ihn trotzdem an, als hätte er ihr gerade eine Kugel durch den Kopf gejagt. Raffaello ließ die Waffe sinken. Das blanke Metall blitzte im Licht der Sonne zu ihr auf, blendete sie für Sekunden. Leslie spürte, wie ihre Knie nachgaben. Nun endgültig. Sie fiel, ließ sich fallen, vorwärts auf die Knie. Der dicke Teppich federte den Aufprall ab, aber sie hätte den Schmerz sowieso nicht gespürt. Etwas fiel neben Raffaello auf den Boden. Ihre Pistole. Blass schimmerte sie zu ihr herüber. Dann war Raffaello bei ihr.
    „Ich war es nicht, Leslie“, sagte er leise, mit rauer Stimme, „ich habe es nicht getan.“ Er holte tief Luft und beinahe hörte es sich an, als schluchzte er auf. „Ich habe damit nichts zu tun.“ Leslie wusste, dass sie ihm glauben wollte, sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sie es könnte, aber sie konnte es nicht. Weil sie genau wusste, dass er sie soeben angelogen hatte – und sie stellte mit Entsetzen fest, dass es ihr egal war. Sie klammerte sich an seinen Arm und weinte. Weinte hemmungslos, so lange, bis er ihren Kopf in seine Hände nahm und sie küsste. Die Tränen blieben ihr im Hals stecken, aber ihre Lippen zitterten wie Espenlaub. Irgendwann löste er sich von ihr. Ihre Tränen glitzerten auf seinen Lippen. Er sah ihr fest in die Augen.
    „Ich war es nicht, Leslie“, wiederholte er. „Glaubst du mir?“ Scheinbar hypnotisierte er sie. Sie konnte den Blick nicht von seinen Augen abwenden.

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