Zwischen Olivenhainen (German Edition)
Sie holte tief Luft. Die plötzliche Sauerstoffzufuhr ließ tanzende Punkte vor ihren Augen aufflackern. Dann nickte sie, starrte stumm zu ihm auf.
„Ich will es hören“, sagte Raffaello eindringlich. Seine Hände lagen warm an ihren Schläfen.
„Ja“, stotterte sie, obwohl sie ihm nicht ein Wort glaubte. Aber er war der beste Lügner, dem sie je begegnet war. Raffaello schien aufzuatmen, doch als er sie ganz dicht an sich zog, spürte sie, dass er noch immer jeden Muskel anspannte.
„Das ist gut“, raunte er leise, atmete tief durch, bevor er sie erneut fest umarmte und sie küsste, bis sie sich nach einer halben Ewigkeit aus seinem Griff losmachte. Sie konnte ihm nicht in die Augen blicken, ohne ihm auf der Stelle um den Hals fallen zu wollen, ohne das unerträgliche Ziehen in der Brust unterdrücken zu können. Raffaello nahm ihre Hände in seine und sie spürte seinen stechenden Blick auf sich ruhen.
„Mach diesen Unsinn nie wieder, Leslie“, sagte er leise.
„Wieso? Bringst du mich dann auch um?“ Sie wusste selbst nicht, warum ihr das rausgerutscht war – aber jetzt war es zu spät. Vorsichtig riskierte sie es, zu ihm aufzublicken. Er schloss für ein, zwei Sekunden die Augen.
„Lass das, o. k.?“, sagte er ruhig. „Lass das Thema sein. Das ist nichts, worüber wir uns unterhalten sollten, verstehst du?“ Sie nickte und konnte sich nicht erklären, warum sie das einfach so akzeptierte. Vielleicht lag es an seiner Gegenwart, an diesem Blick, mit dem er sie ansah. Er wusste, dass sie ihm nicht glaubte. Er wusste es genau. Und trotzdem hatte er gelogen. Eine Gänsehaut lief ihr den Rücken hinab. Hastig ließ sie seine Hände los, als hätte sie sich daran verbrannt.
Sie sah ihn nicht an, als sie murmelte: „Lass mich … Ich muss kurz raus.“ Dann stand sie auf, ihre Knie zitterten noch immer, aber immerhin konnte sie stehen. Sie machte einen weiten Bogen um die Pistole, die noch immer neben Raffaello auf dem Teppich lag, eilte auf die breite Terrassentür zu und trat hinaus in die sengende Hitze. Sie spürte Raffaellos Blick genau, der ihr folgte, bis sie hinter dem Haus verschwunden war, den riesigen Pool umrundete und schließlich die alten Olivenbäume erreichte.
Sie zögerte eine Sekunde, bevor sie die nackten Füße auf das spitze, trockene Gras setzte, erinnerte sich an Francesco, der hier gestorben war und die Schüsse, die in ihren Gedanken widerhallten, ließen sie kurz zusammenzucken, bis sie tief durchatmete, die Schultern straffte und dann ohne Zögern zwischen die alten Bäume in den lichten Schatten trat. Es war heiß hier und fast schon schwül stieg die Luft vom Gras auf, aber Leslie fühlte sich im silbrig grünen Dickicht der Bäume sofort verborgen und geschützt. Wahllos steuerte sie auf einen der Stämme zu und hangelte sich an den dicken Ästen hinauf in die Krone, hinein in das Gewirr aus Zweigen und silbrigen Blättern. Sie kauerte sich auf einen breiten Ast, der einigermaßen bequem wirkte, ließ die Beine links und rechts davon herunterbaumeln, dann lehnte sie sich zurück gegen den Stamm, atmete tief durch – und wartete.
Raffaello erschien keine zehn Minuten später und ihr wurde bewusst, dass sie nur darauf gewartet hatte, dass er zu ihr kam. Sie hörte ihn ihren Namen rufen und plötzlich tippte er von unten an ihren linken Fuß, sodass sie erschrocken zu ihm nach unten schaute. Da stand er, den Kopf in den Nacken gelegt, und blickte zu ihr auf. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht.
„Darf ich?“, fragte er und Leslie nickte. Entgegen ihrer Überzeugung, entgegen jeder Vernunft sehnte sie sich plötzlich so sehr nach seiner Nähe, dass es wehtat. Behände und geschmeidig wie eine Raubkatze kletterte Raffaello den dicken Stamm zu ihr herauf und ließ sich dann ihr gegenüber auf dem Ast nieder, rückte zu ihr auf, sodass sich ihre Knie berührten. Seine dunklen Augen blitzten und ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel, als er sich umsah.
„Schickes Versteck“, stellte er dann fest. „Das habe ich früher auch oft gemacht. Damals habe ich Mario meistens mitgeschleift. Der Arme …“ Er lächelte und jetzt konnte sich Leslie vorstellen, warum es eine Leichtigkeit für ihn gewesen war, den Baum zu erklimmen. Zaghaft erwiderte sie sein Lächeln. Das erste Mal an diesem Tag, seit sie sich begegnet waren.
„Ich hatte zu Hause immer meine Fensterbank“, sagte sie. „Dahin habe ich mich verzogen, wenn ich nachdenken wollte. Hinter den
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