Zwischen Wind und Wetter
mit dem Wind. Wir wandern nach Norden, an der Felskante entlang, umrunden die tief ins Land einschneidenden Buchten mit ihrem gelben, festen Sand, der nie trocknet, weil die Flut ihn bis zu den Felsen überspült.
Schmale Fußpfade und Trittspuren im dichten, grünen Gras der Kuh weiden führen uns. Die Rinder kauen gemächlich, liegen bequem im Gras. Nur manchmal steht eine Kuh auf, getrieben von Furcht und Neugier, macht einen Schritt auf uns zu und drei wieder fort. Und ein Esel schreit kläglich hinter uns her, es ist zum Weinen. Unter uns rennt das Meer an gegen den Fels, unermüdlich; Felsbrocken ragen aus dem Schaum: schräge, schwarzbraune Streifen zeigen die Gesteinsschichten an; das Meer nagt und nagt, manch abgesplitterter Brocken zeigt die gleichen, schräggeplatteten Spuren an wie das Festland, zu dem er einstmals gehörte, bevor das weiche Wasser den harten Stein abtrennte.
Wir kuscheln uns in eine windgeschützte Grasmulde, versuchen etwas zu lesen. Und dieser Leuchtturm vom Kilcredaun Point ist wahrhaftig in der Ferne zu sehen, der kleine weiße Finger leuchtet in der Sonne vor schwarzem Fels. Eine Fahrradtagesreise weiter nördlich scheint die Sonne.
Diese Sonne, die so langsam, so langsam nur in diesem Jahr dem nördlichen Wendekreis zusteuert, dem Wendekreis des Krebses auf 23,5 Grad nördlicher Breite, der geradewegs durch Spanisch Sahara, das südliche Algerien und den Assuan-Staudamm in Ägypten hindurchgeht. Diese Sonne, die wohl in den Roßbreiten steckengeblieben ist,
»...wo den ganzen Tag der Schirokko weht. Dieser heiße verschlingende Wind hat uns seit der glühenden Hölle der Portes-de-Fer nicht mehr verlassen. Die fernen Horizonte stehen in Flammen und wirken vollends verzerrt, überall wirbeln graue Staubwolken auf und fegen über die Straßen. Die Mücken summen und stechen, außer sich vor Hitze. Bou-Saida, die fahlrote Königin, schläft genüßlich im Kleid ihrer dunklen Gärten, unter der Wacht ihrer violetten Hügel am steilfallenden Rand des Wadi, in dem das Wasser über die weißen und rosa Kiesel rauscht. Wie nachlässig über die kleinen irdenen Mauern gebeugt, weinen die Mandelbäume ihre weißen Tränen, während der Wind ihnen sanft über die Kronen streicht; ihr zarter Duft erfüllt die weiche Lauigkeit der Luft und beschwört eine zauberhafte Melancholie herauf...«.
Die Autorin dieser Zeilen, Isabelle Eberhardt, unternahm um die Jahrhundertwende weite Reisen nach Tunesien, in den Sahel und in die algerische Wüste. Sie lebte als Nomadin, schrieb Reiseberichte, einen Roman und wunderschöne Landschaftsschilderungen. 1904 kam sie, siebenundzwanzig Jahre alt, in einem der oben beschriebenen Wadis durch eine plötzliche Flutwelle um.
‘Ich bin eine Träumerin’, sagte sie von sich.
‘Nur Reisen ist leben’ (nach Jean Paul) heißt das Buch, in dem ich dies lese.
Der Wind aus Südwest, der wohl aus der Wetterküche der Biskaya kommt, hat zugenommen, hier schlafen die Mücken, und anstatt vom Wendekreis des Krebses oder den Roßbreiten zu träumen, scheinen wir uns dem Polarkreis zu nähern.
Doch — am Strand baden Kinder im flachen Wasser. Irische Kinder.
Heute ist Montag, the Whit Monday des Whit Weekends, obwohl Whit Monday eigentlich Pfingstmontag bedeutet.
Die Iren nutzen das lange Wochenende, um ans Meer zu fahren und sich zu amüsieren. Und unaufhaltsam im Lauf der Jahre gehört auch schon der Freitag dazu, den die Iren als Freizeit vereinnahmen. Kürzlich verschob der irische Schulminister die traditionelle Ausgabe der Abiturzeugnisse vom Freitag auf den Donnerstag, um die an Wochenenden besonders ausgeprägte Trinkfreudigkeit zu bremsen. Doch die ‘Reifgesprochenen’ werden sich wohl kaum bremsen lassen. Wie sie sich noch nie haben hindern lassen von irgendwelchen Bestimmungen, vor allem, wenn es um Polizeistunden oder ähnliches geht.
Wenn Seamus einen trinken will... Schon in den fünfziger Jahren konnte Heinrich Böll den Ideenreichtum der Iren beurkunden. Werktags war Polizeistunde um zehn Uhr abends, schon ärgerlich genug, da Seamus oft länger arbeiten mußte. Sonntags wurde es vollends unangenehm, da durfte Seamus nur bis nachmittags zwei Uhr oder zwischen sechs und acht Uhr abends durstig sein. Ausnahmen galten, auch damals schon, für Touristen und Durchreisende.
Die Sonne schien, der Durst war groß, Durst wird durch Bier erst schön. So holte Seamus seufzend sein Fahrrad aus dem Schuppen und machte sich auf den Weg in das sechs
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