Zwischen Wind und Wetter
nicht Edelsteine. Hier lagen sie, scheinbar weder nützlich noch wertvoll oder berühmt. Ungeschützt waren sie dem Wetter, den Jahreszeiten, den Stürmen ausgesetzt. Wer zerbrach, wurde zerkleinert, in unendlichen Zeiträumen, blieb da etwas übrig? Konnten Steine zu nichts werden? Einige hoben wir auf, überlegten, ob wir sie mitnehmen sollten. Sie wurden warm in unseren Händen, wir wärmten sie, sie wärmten uns. Steine sind Steine sind Steine sind mehr als Steine.
Die Zeit der Steine (von Erich Fried)
Die Zeit der Pflanzen
dann kam die Zeit der Tiere
dann kam die Zeit der Menschen
nun kommt die Zeit der Steine
Wer die Steine reden hört
weiß
es werden nur Steine bleiben
Wer die Menschen reden hört
weiß
es werden nur Steine bleiben
Die Steine schwiegen nicht; sie rollten, von unseren Füßen gestoßen, vom Damm herab, klackten aneinander. Flache Steine warf ich über die Meeresoberfläche, es gab klatschende Geräusche, wenn sie aufsprangen und schließlich untertauchten.
Die Steine sprachen zu uns, neben uns wisperte das Meer, das nach unseren Füßen gierte. Das Dorf war nicht zu sehen; nur Strand, Steine, Flut und Nebel.
Doch dann, in Dorfnähe, tauchte eine Gestalt aus dem Nebel auf, eine übermenschengroße Gestalt, das Denkmal des Roger Casement, oder auf gälisch Ruar’n mac easmainn. Inschriften von Denkmälern waren glaubwürdig, das hatten wir bei Colleen Bawn gelernt. Und daher glaubten wir auch dieser Inschrift.
1854 (oder 1864, je nachdem, ob man auf der Vorder- oder Rückseite des Denkmals nachlas) in Sandycove im County Dublin geboren, verbrachte Roger Casement einen großen Teil seines Lebens im Ausland, unter anderem in Afrika, gefördert von einem Lord namens Salisbury. Casement war Kaufmann, tätig im Latex- und Gummigeschäft, das ihn auch nach Südamerika führte.
Für seinen unermüdlichen Einsatz um bessere Arbeitsbedingungen in der gummiverarbeitenden Industrie erhielt er den niederen Adel eines ‘Sir’, die sogenannte ‘Knight Hood’.
Politisch engagiert, unterhielt er Kontakte zu den Führern des irischen Freiheitskampfes, reiste zur Zeit des 1. Weltkrieges in die USA und nach Deutschland, um Waffen zu besorgen. Es gelang ihm, eine Schiffsladung mit Gewehren auf den Weg zu bringen, die nach Tralee beordert wurde. Er selbst wurde von Deutschland aus mit dem U-Boot U19 zum Banna Strand in der Ballyheigue Bay gebracht, um dort bei Nacht und Nebel an Land gesetzt zu werden. Der Coup mißlang, Casement wurde am Strand festgenommen, später zum Tode verurteilt und 1916 in London gehängt. 1965 wurde seine Leiche in die Heimat überführt.
Jetzt ragte das Standbild am Strand von Ballyheigue empor, Sir Roger Casement, mit gefesselten Händen, ein Sinnbild Irlands.
Es gab nicht nur den Helden des Osteraufstandes, sondern auch die Ruinen eines Castles, das mit Hilfe der Europäischen Gemeinschaft und durch die Arbeit von Jugendgruppen renoviert wurde, jedenfalls das, was noch da war: ein wuchtiger, eckiger Turm und die Reste einiger Nebengebäude. Und es gab den Kopf von Christy Brown.
Dem Schriftsteller Christy Brown aus Dublin war im Pub ‘Korby’s’, wo wir zufällig hineinschauten, ein beleuchteter Glaskasten gewidmet, in dem die Plastik seines Kopfes ausgestellt war. Nachdem wir unseren ersten Schrecken überwunden hatten — der Kopf im Glaskasten wirkte ziemlich makaber — und die beiden Stouts ihre besänftigende Wirkung auf unsere Magenschleimhäute ausgeübt hatten, entdeckten wir die ausgestellten Bücher, unter anderen ‘Down all the Days’, das bisher in fünfzehn Ländern veröffentlicht wurde, in Deutschland unter dem Titel ‘Ein Faß voll Leben’. Und natürlich das berühmte ‘My left Foot’, ‘Mein linker Fuß’, sein linker Fuß, mit dem er alles geschrieben hat.
Christy Brown war ein besonders schwerer Fall von zerebraler Kinderlähmung, ausgelöst durch Probleme bei der Geburt. Der Junge war in so hohem Maße gelähmt, daß die Ärzte ihn eigentlich aufgegeben hatten. Doch seine Mutter gab ihn nicht auf, bewahrte ihn vor einem grausamen Schicksal in den Hinterzimmern irgendwelcher Heime. Christy Brown war eins von 22 Kindern der Familie (13 überlebten), er wurde 1932 geboren und war die Nummer 10, wie er sich selbst gern bezeichnete.
Mutter, Vater und Geschwister nahmen ihn als normales Mitglied in die Familie auf. So hatte er die Chance, auch dank eines aufmerksamen Arztes, lesen und mit dem linken Fuß, den er als einzigen
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