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Zwischen Wind und Wetter

Zwischen Wind und Wetter

Titel: Zwischen Wind und Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Straeter
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schlechtem Wetter stand sein Oberhemd immer drei Knöpfe auf, die Regenjacke wehte offen im Wind.
    Fest verwurzelt in irisch-gälischer Erde, war Pierce gewissen Modernisierungen gegenüber jedoch nicht abgeneigt, zumal einige Kollegen, d.h. Konkurrenten, im Pub immer öfter von der Europäischen Gemeinschaft und von gewissen Geldern redeten.
    Also beschloß Pierce eines schönen Tages, es war noch nicht lange her, seine Farm an diesem Ende der Welt — Dingle bezeichnet sich gern als Europas westlichste Hafenstadt — auf Vordermann zu bringen. Er beantragte einen finanziellen Zuschuß zwecks Modernisierung seiner Farm. Die Sache ging ihren behördlichen Gang und schließlich fehlte, wie die zuständige Behörde ihm schrieb, nur noch die Geburtsurkunde.
    Eine Geburtsurkunde? Pierce Ferriter schüttelte den Kopf. Zwar war er nachweislich sichtbar geboren, man wußte auch das Jahr 1957, aber eine Geburtsurkunde, die gab es nicht. In Kerry soll das damals häufiger vorgekommen sein. Doch das nützte wenig: Pierce war nicht registriert, es gab keine Geburtsurkunde, damit keinen Pierce Ferriter und deshalb auch kein Geld.
    Es ging hin und her, schließlich ließ sich über das Zentralregister in Dublin etwas machen. Pierce sollte dort nachträglich registriert, eine Geburtsurkunde erstellt werden. Das Geld würde fließen.
    Doch nicht so bei Ferriter in Ferriter. Artikel acht der irischen Verfassung benennt die gälische Sprache als erste Landessprache vor dem Englischen. Und darauf sind die Iren stolz. Ganz besonders stolz war Pierce Ferriter. Er bestand darauf, unter seinem gälischen Namen Piaras Feirtear eingetragen zu werden...
    Das lehnte die Behörde ab. Den Pierce Ferriter hatten sie noch so eben in Dublin notiert, einen Piaras Feirtear aber konnte man den Akten beim besten Willen nicht entlocken. Den gab es nicht, weder in Dublin noch in Ballyferriter oder Baile an... oder... Der Zuschuß rückte in weite Ferne, die Kühe warteten weiter auf die neue Melkanlage. Doch ein Kelte gibt so leicht nicht auf. Pierce mobilisierte Freunde und Bekannte, Rechtsanwälte und die heimische Presse mit dem beziehungsreichen Namen ‘The Kingdom’, der an das ‘Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland’ erinnerte.
    Das Schicksal gewährte dem Mann, den es nicht gab, eine letzte Chance zur Wiedergeburt. Man fand in Dublin ein altes Wählerverzeichnis, in dem Piaras Feirtear erwähnt war. Und dann gab es ihn endlich auch offiziell, den Mann am Slea Flead, das Geld floß auf sein Konto und die Milch der Kühe seitdem durch kalte Metallröhren.
    Hätte er besser geschwiegen? The Man, who didn’t exist, der Mann, den es nicht gab? Keine Behörde, auch keine Militärbehörde würde ihn finden, und den geregelten Ärger mit den Brüsseler Bestimmungen könnte er sich ersparen. Er würde still und geheimnisvoll an diesem Ende der Welt sein typisch irisch-gälisch-keltisches Leben, sein uneuropäisches (oder erst recht europäisches?) Leben führen, und die Krähen würden es von den Dächern krächzen, daß Pierce eigentlich Piaras heißt oder umgekehrt oder überhaupt.

    Samstag, 19.6.
    Der Satan und die Queen.
    Nach der Rückkehr von einem sonnigen Ausflug zur Sandhalbinsel Inch trieb uns der aufkommende Regen direkt Tom Long in die Arme. Genauer gesagt in die Bruchbude, die sich ‘Tom Long’s Bar’ nannte. Tom Long zapfte hier Bier, sein Vater Tom Long hatte hier Bier gezapft, dessen Vater Tom Long hatte...
    Wir nahmen Platz in ausgemusterten Kinosesseln und auf Bänken mit senkrechter Rücklehne. Der Fußboden war voller Zigarettenstummel, nicht einmal Bierdeckel lagen auf den dunklen Holztischen. Eine Zwölfjährige mit einem jungen Fuchs auf dem Arm bediente uns, irritiert sprang der Kneipenhund zwischen den Tischen herum.
    Ob es am Bier, an den Kinosesseln oder woran auch immer lag, zufällig blickten wir durch’s Fenster.
    Der Mann, der draußen vorbeiging, sah aus wie Salman Rushdie! Salman Rushdie, als Tourist verkleidet, in Dingle? Gut möglich, niemand würde ihn erkennen — oder glauben, daß er es ist. Seine Jäger würden ihn nicht finden, wer fährt schon nach Irland!
    Ob es am Stout lag oder an den Kinosesseln: kurz darauf sahen wir die Queen vorbeikommen, die Königin von England, ein Kopftuch um, zur Tarnung natürlich. Es gibt Zeitungsfotos von ihr, auf denen sie ein Kopftuch umhat.
    Jetzt wurde uns endgültig klar, daß es Salman Rushdie gewesen sein mußte. Er wohnte doch versteckt in

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