Zwischen Wind und Wetter
zum Meer hin langsam ab, nach einiger Zeit
erreiche ich den Wassersaum. Eine Stunde lang befinde ich mich auf dem
Meeresboden, fünf Meter unter der Wasseroberfläche.
Atlantis ist
nicht zu sehen. Atlantis, Symbol für Naturgewalt und menschliche
Unzulänglichkeit.
‘Brüllten
die Ersaufenden nach ihren Sklaven?’ läßt Bertolt Brecht seinen lesenden
Arbeiter fragen. ‘Atlantis ist Symbol für das Unbekannte in der Kunst’, sagt
der Maler Willi Baumeister. Das muß ich der Malerin erzählen!
Nach Süden
hin, gegenüber, auf der anderen Seite der Tralee Bay, liegt die Halbinsel
Dingle. Wolken scheinen sich in ihren Bergflanken festgebissen zu haben. Der
über neunhundert Meter hohe Brandon Mountain schaut oben aus den Wolken heraus,
ebenso einige andere Bergrücken.
Schwebendes
Land.
Fische
springen im Wasser, Möwen schreien, ein Kormoran streicht vorüber; Lerchen sind
zu hören; und nur für kurze Zeit unterbricht das langsame Tuckern eines blauen
Fischerbootes die natürlichen Geräusche.
Ilse findet
im Ort Fenit ein zweites Malmotiv, die Kneipe ‘O’Sullivan’s’ mit ihrer gelben
Fassade und der kräftigen, rotschwarzen Beschriftung. Daneben eine der alten
Telefonzellen, früher einmal gelb-grüngestrichen, heute weiß mit blauen
Randstreifen. Auch in Irland, ebenso wie es in England und Wales mit den alten,
roten Telefonzellen geschieht, werden die Zellen nach und nach durch moderne
Glashäuschen von Telecom ersetzt. Telefoniert wird fast nur noch mit Karten,
die in allen Läden und Gaststätten zu bekommen sind.
Noch
siebeneinhalb Meilen bis Tralee, elf Kilometer.
Am
Straßenrand wachsen Beinwell und Fingerhut. Ausgeschildert ist nichts (no
soign!); den auf unserer Karte eingezeichneten Campingplatz gibt es nicht, weites
Land ist dort, es sieht nicht so aus, als sei an dieser Stelle jemals so etwas
wie ein Campingplatz gewesen. Es gibt aber einen Platz in Tralee, in der Stadt,
nach dreimaligem Fragen finden wir ihn. Für Zelte ist eine Rasenfläche
angelegt, die sanitären Anlagen sind ausgezeichnet, und nach dem Duschen lassen
wir uns in der Campers-Küche nieder, dort gibt es Tische und Bänke, die wie auf
einem Schiff fest angeschraubt und miteinander verbunden sind. Und so eng
aneinander, daß man kaum dazwischen gelangt.
Wenn es nur
nicht wieder so regnen würde, die Versprechungen des Nachrichtenmenschen haben
nicht lange vorgehalten.
»Der hat
sich versprochen !« sagt Ilse.
Wenn es
nicht wieder so regnen würde, gingen wir lieber in unser Zelt, trotz des
undichten Bodens, den wir mit der Lebensrettungsfolie und zwei großen Mülltüten
unterlegt haben. Denn die Rückenlehnen der Bänke steigen im rechten Winkel
empor, wir fühlen uns wie die Kinder des Herrn Schreber.
Schreber,
der nicht nur die nach ihm benannten Gärten erfand, sondern auch mit allerlei
Geräten, Bändern und Riemen versuchte, seinen Kindern körperlich und seelisch
eine aufrechte Haltung beizubringen. Letzteres mißlang, die Kinder
verkümmerten, und so ist Vater Schreber lediglich mit den Gärten für jedermann
und jedefrau in die Geschichte eingegangen.
Ein junger
Heidelberger gesellt sich zu uns, wir reden über die Freuden und Tücken des
‘outdoor-Lebens’, über Materialschwächen der Fahrräder. Sein Spezial-Mountain
Bike sei ihm im vorigen Jahr in Schottland auseinandergefallen, erzählt er. Die
scheinen trotz der recht hohen Preise nicht unbedingt stabiler zu sein; still
danken wir unseren beiden normalen Sporträdern mit 12-Gangschaltungen für ihre
bisherige problemlose Leistung, die verschiedenen Plattfüße wollen wir nicht
rechnen.
Wir gehen
früh auf die Matten. Aus Wut über die ständigen Pladdergeräusche auf dem
Zeltdach höre ich noch zwei Stunden lang Musik im Transistor.
Donnerstag,
10.6.
Es hat die
ganze Nacht geregnet, es regnet immer noch. Der Heidelberger will nicht
weiterfahren:
»Das tu ich
mir nicht an !«
Wir tun es
uns an. Wir starten!
‘A weak rain
belt will cross the country’, hatte der ‘Irish Independent’ noch vor ein paar
Tagen verkündet, nur ein schwacher Regengürtel. Das Tief vom Atlantik war auf
der Wetterkarte eingezeichnet gewesen, 990 Hektopascal * ) hatten wir gelesen.
Heute schien
der Regengürtel einige Löcher enger eingestellt worden zu sein. Im ‘The Star’ bildeten
sie sonnige Strandszenen vergangener Jahre ab, wie es war, wie es sein könnte.
‘But the way we are: Cats ‘n dogs time.’ Aber so, wie es ist, regnet es mal
wieder Katzen
Weitere Kostenlose Bücher