Zwischen Wind und Wetter
ausgelöst
durch Probleme bei der Geburt. Der Junge war in so hohem Maße gelähmt, daß die
Ärzte ihn eigentlich aufgegeben hatten. Doch seine Mutter gab ihn nicht auf,
bewahrte ihn vor einem grausamen Schicksal in den Hinterzimmern irgendwelcher
Heime. Christy Brown war eins von 22 Kindern der Familie (13 überlebten), er
wurde 1932 geboren und war die Nummer 10, wie er sich selbst gern bezeichnete.
Mutter,
Vater und Geschwister nahmen ihn als normales Mitglied in die Familie auf. So
hatte er die Chance, auch dank eines aufmerksamen Arztes, lesen und mit dem
linken Fuß, den er als einzigen Körperteil gesteuert bewegen konnte, schreiben
zu lernen. Erst als er siebzehn Jahre alt war, öffnete die erste Klinik für
zerebrale Kinderlähmung in Irland.
Als Christy
ein eigenes Schreibzimmer haben wollte, weigerten sich der Vater und einer der
ältesten Söhne, die beide Maurer waren, den Raum im Hof anzubauen, weil sie es
für unmöglich hielten, daß der Junge längere Texte würde schreiben können. Erst
als die Mutter sie beschämte, trotz ihrer vielen Arbeit mit der Großfamilie,
die in den Slums von Dublin lebte, anfing, selbst die erste Mauer im Hof
aufzuziehen, griffen Vater und Bruder endlich zur Kelle.
Christy
Brown starb 1981 im Alter von 49 Jahren an einem Erstickungsanfall. Im
Glaskasten bei ‘Korby’s’ ist sein Todesjahr mit 1980 angegeben, belegt durch
einige Fotos von der Beerdigung. Seine Lebensgeschichte wurde 1989 in Irland
verfilmt.
Voller
Hochachtung standen wir jetzt vor dem schummrig beleuchteten Glaskasten, voller
Hochachtung vor der Leistung des Dichters und der liebevollen Verehrung in
diesem Städtchen weit ab von Dublin.
Und
entdeckten die über dem Kasten an der Wand im Bogen aufgereihten Zeichnungen
der Porträts der berühmten Kollegen James Joyce, William Butler Yeats, Sean
O’Casey, George Bernard Shaw, Brendan Behan und Oscar Wilde.
So war
Christy Brown in den Kreis der Lorbeerträger aufgenommen worden.
‘AN DAINGEANN’
IN DINGLE UND UM DINGLE HERUM
— Ein Tagebuch —
Mittwoch, 9.
6.
Um halb
zwölf Abfahrt zum nächsten Leuchtturm bei Fenit, einer Felsnase einige
Kilometer vor Tralee (tra lí). Knapp fünfundzwanzig Kilometer geht es über
ruhige schmale Landstraßen, von hohen Hecken begleitet. Das Light House liegt
fünfhundert Meter vor der Küste auf einer Felsinsel.
Wegen des
beginnenden Nieselregens herrscht schlechte Sicht. Wir begnügen uns zunächst
mit dem Light House Restaurant in Fenit, endlich einmal ein Leuchtturm mit
Service. Wir lunchen. Gemüsesuppe und Smoked Salmon Salad, ein Salat mit geräuchertem
Lachs, mit viel Brot und Butter. Die freundliche, ältere Wirtin bringt uns zwei
überschäumende Stouts. Die Kneipe ist groß und dunkel, hat wohl nur am
Wochenende Hochbetrieb. Wir sitzen in einer Ecke unter Fenstern mit
eingeschliffenen Leuchtturmmotiven, an der Theke genießen drei
Straßenbauarbeiter ihre Mittagspause. Immerhin macht der Ort etwas aus seinem
Leuchtturm, der zwar auch nicht zu erreichen ist, aber nicht abgesperrt werden
muß.
‘The Lighthouse. Restaurant. Lounge, Bar, Accomodation, Seafood.’
Im
Eingangsbereich des Restaurants hängen einige verblichene Drucke von
historischen Seglern, unter anderem die berühmte ‘Cutty Sark’, der schnellste
Bananen-Clipper seiner Zeit. Dicht gefolgt von der ‘Thermopylae’, die am Great
Sea Race von 1872 teilnahm. Die Originale wurden ‘painted by John
Bentham-Dinsdale’.
Nach dem
Lunch wird das Wetter so, wie der Nachrichtensprecher gestern versprochen hat:
kein Regen und etwas wärmer, um die siebzehn Grad. Wir radeln zum Hafen und
wandern dann weit hinaus zur Felsspitze, damit die Leuchtturm-Malerin zu ihrem
Recht kommt. Ich klettere zum Meer hinunter, hole ihr etwas Seewasser, sie malt
heute in Salz, sozusagen in Aqua-Chlorid.
Es ist Ebbe,
die weiter vorgelagerten Felsausläufer liegen frei.
Dicht von
Tangpflanzen überwuchert, ziehen sich die vom Meerwasser ausgehöhlten
Steinformationen dahin, in den Höhlungen finde ich Schnecken, Muscheln,
Austern, Krebse und Wasserflöhe. Seeigel, die es auch an den irischen Küsten
gibt, haben sich hier nicht angesiedelt. Die dicken, hellgrünen Fruchtkugeln
des Seetangs platzen mit schmatzenden Geräuschen unter meinen Füßen weg, einige
Male rutsche ich aus und lande in den kleinen Teichen übriggebliebenen
Flutwassers. Schlangengleich winden sich die langen Tangblätter über Stellen
sandigen Meerbodens. Das Land fällt
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