Zwischen zwei Nächten
Lachen gereizt, aber jetzt ist ihr nicht nach lachen zumute.
„Außer?“
„Machen Sie sich selbst ein Bild. Ich weiß, was ich gesehen habe, und das genügt mir.“
Er scheint Angst vor seiner eigenen Courage zu bekommen und greift rasch nach seinem Bier. Die entrüstete Frau Maricek bemüht sich, seine Worte zu entkräften.
„Der Bub will sich nur wichtig machen. Außerdem steckt er seine Nase andauernd in diese Schundhefteln.“
Sie redet und redet, Ann-Marie kann ihr kaum mehr folgen.
„Während der letzten Wochen ging ich abends nur mehr selten aus. Mir war von Anfang an bewußt, daß ich in diesen Bars nur dem Alleinsein entkommen wollte. Unter anderen empfand ich meine Einsamkeit weniger bedrohlich, ertränkt in Alkohol schien sie mir erträglicher. Was für ein Trugschluß! Am nächsten Morgen fühlte ich mich dann doppelt allein. Ich lief ziellos herum, versuchte einmal dies und einmal das, wollte alles ausprobieren, auskosten, besser gesagt, und landete doch immer wieder bei mir selbst.“
„Ich glaube, du bist ständig von einer Sache zur anderen geflüchtet, weil du gar nicht gewußt hast, was du eigentlich suchst. Du bist immer irgendwelchen Erfahrungen hinterhergelaufen und hast sie im Grunde nicht wirklich gemacht.“
„Wo hast du das gelesen? – Na? – Auch egal, vielleicht hast du sogar recht. Jedenfalls zog ich in letzter Zeit die Gesellschaft meines Fernsehapparates vor, und wenn Alfred einmal einen Abend zu Hause verbrachte, versuchte ich, ernsthaft mit ihm zu reden. Nach ein paar gescheiterten Versuchen gab ich auf und beschäftigte mich fortan nur mehr mit mir selbst, schmiedete Pläne, machte Aufzeichnungen, zum Beispiel entwarf ich Skizzen von unserer zukünftigen Wohnung in New York. Ich lebte nur mehr für meine Träume, rechnete aus, wieviel Geld mir nach dem Verkauf des Büros zur Verfügung stehen würde, erstellte ein Jahresbudget, verwarf es wieder und konzipierte ein neues. Ich bewahrte diese Notizen in meiner verschließbaren Schreibtischlade auf, aus Angst, Alfred könnte sie in die Finger bekommen. Aber er dachte nicht im Traum daran, sich für meine Angelegenheiten zu interessieren. Die kleinen, eifersüchtig gehüteten Geheimnisse seiner Frau schienen ihm wohl zu unwesentlich, als daß er sich die Mühe gemacht hätte, in meinen Sachen herumzuschnüffeln.“
Anna rauchte hastig. Sie klammerte sich an die Zigarette, als ob sie Unterstützung von ihr erhoffte. Obwohl es noch nicht einmal zwölf Uhr war, hatte sie bereits ein halbes Päckchen geraucht. Ann-Maries forschender Blick machte sie noch nervöser. Sie wußte, daß ihre Freundin nur darauf wartete, daß sie endlich erklären würde, was sie in ihrem Brief nur angedeutet hatte.
In ihrem Kopf dreht sich alles. Sie spürt das kleine Bier, das sie auf nüchternen Magen getrunken hat. Unlustig kaut sie an einer trockenen Semmel. Dem Ober, der ihr ein Tablett mit erlesenen Fleischstücken reicht, gibt sie wieder einen Korb.
Ein schlanker, graumelierter Herr kommt auf sie zu und begrüßt sie freundlich.
„Ich glaube, wir kennen uns. Mein Name ist Paul, und Sie sind Annas Freundin aus New York?“
Ann-Marie erwidert seinen Händedruck und mustert ihn ungeniert.
Und ob sie ihn kennt! Als junges Mädchen ist sie schwer in ihn verliebt gewesen, aber das kann er natürlich nicht wissen. Obwohl er bestimmt schon auf die Sechzig zugeht, ist er immer noch ein schöner Mann.
Sonnengebräunt, durchtrainiert, wie ein in die Jahre gekommener Playboy eben.
Sie schenkt ihm ein trauriges Lächeln und fordert ihn auf, neben ihr Platz zu nehmen. Am unteren Ende der Tafel sind viele Stühle frei.
Sie stellt ihm keine Fragen, sondern läßt ihn einfach reden.
Doch mit ihm würde sie kein so leichtes Spiel haben wie mit den Mariceks, das wird ihr schon nach seinen ersten Worten klar.
Er erkundigt sich höflich nach ihrem Leben in New York, spricht über Wien, das Wetter …
Ann-Marie gähnt gelangweilt, rutscht unruhig auf ihrem Stuhl hin und her, und während sie noch überlegt, wie sie das Gespräch möglichst geschickt auf das ‚Unglück‘ bringen könnte, tastet er sich bereits vorsichtig an dieses heikle Thema heran.
Er findet sehr warme Worte für Anna.
Ist er etwa in die Tochter seines ehemaligen Chefs verliebt gewesen?
„Sie hat phantastisch ausgesehen, als ich sie das letzte Mal sah. Die Freude auf ihr neues Leben – wie sie sagte – hat ihre Züge weicher, fraulicher gemacht. Als wir den Vorvertrag
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