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Zwischen zwei Nächten

Zwischen zwei Nächten

Titel: Zwischen zwei Nächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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Frau begraben wurde, wird er von seiner Begleiterin sanft zurechtgewiesen.
    Daß er nicht den todunglücklichen Witwer spielt, spricht eigentlich für ihn. – Aber wahrscheinlich weiß er selbst, daß er ein miserabler Schauspieler ist.
    Er spricht zuerst kaum von Anna, sondern mehr über sich selbst und die schwierige Lage, in die sie ihn durch ihren Tod gebracht hat. Als er anfängt über ihre schlimmen Depressionen zu klagen, verläßt Ann-Marie wütend das Extrazimmer.
    Alfred ist ihr schon immer unsympathisch gewesen, aber heute bietet er eine Glanzleistung an Widerlichkeit. Sie fragt sich, ob Anna die Scheidung bereits eingereicht hat.
    Es würde zwar jetzt nichts mehr ändern – er erbt wahrscheinlich sowieso alles –, aber wissen möchte ich es doch. Ich werde Paul fragen oder am besten gleich den Anwalt. Das muß der Hagere mit dem komischen Hut und der schwarzen Krawatte sein. Er sieht ziemlich griesgrämig aus und trinkt die ganze Zeit nur Milch. Bestimmt leidet er an einem Magengeschwür. Kein Wunder bei diesem Job.
    Trotzdem beschließt sie, seine Bekanntschaft zu machen.
    „Ich kannte Alfred nicht besonders gut. Er war mir nie aufgefallen, weder positiv noch negativ. Ich behandelte ihn wie alle anderen Angestellten, höflich und distanziert. Aber als Papa starb, kümmerte er sich als einziger um mich. So viel Mitgefühl und Verständnis wie er mir gegenüber aufbrachte, würde man ihm gar nicht zutrauen. Heute neige ich allerdings dazu, ihm zu unterstellen, daß sein aufmerksames und rücksichtsvolles Verhalten nur gespielt war, ein raffiniertes Spiel, um mich für sich zu gewinnen. Vielleicht bin ich auch ungerecht. Aber schließlich war ich keine schlechte Partie. Er ließ mich keinen Abend allein, saß stundenlang bei mir zu Hause herum, hörte sich meine stereotypen, sich ständig wiederholenden Klagen an oder versuchte, mich mit lustigen Anekdoten abzulenken. Zumindest amüsierten sie mich damals. Heute nervt mich sein Gerede nur mehr. Später führte er mich dann aus in teure Restaurants – er legte schon damals großen Wert auf gutes Essen – und leistete mir auch an den endlos langen Wochenenden Gesellschaft. Er drängte mich nicht, sondern ertrug geduldig meine Anfälle von Arbeitswut, ich stürzte mich in die Arbeit, um zu vergessen, und er unterstützte die aussichtslosesten Projekte, in die ich mich voller Verzweiflung einließ. Erst als ich mich so an ihn gewöhnt hatte, daß er mir richtig abging, wenn er einmal einen Abend nicht mit mir verbrachte, begann er von Liebe zu sprechen. Natürlich konnte und wollte ich, ehrlich gesagt, zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nein sagen. Ich hatte nicht allzu viel Erfahrung auf sexuellem Gebiet. Außer den paar flüchtigen Abenteuern während meiner Studienzeit, als du so gnädig warst, mir deine Liebhaber zu überlassen, wenn du ihrer überdrüssig wurdest, hatte ich keine Beziehungen, nicht einmal schlechte. Alfred sah früher nicht übel aus. Seine Grobschlächtigkeit hielt ich für männlich. Naiv, wie ich damals war, dachte ich, mich glücklich schätzen zu können, daß sich so ein gescheiter, einfühlsamer und noch dazu gutaussehender Mann ernsthaft für mich interessierte. Selbst seine großen Sprüche erschienen mir liebenswert, ich schrieb sie seiner Unsicherheit zu. Anfangs machte es mir sogar gewissen Spaß, mit ihm zu schlafen, bis ich begriff, daß er meine Unerfahrenheit schamlos ausnützte, mir beibrachte, einen Mann zu verwöhnen, ohne daß ich je wirklich auf meine Kosten kam. Nach relativ kurzer Zeit begann ich, mich mit ihm zu langweilen. Er warf mir vor, mechanisch wie ein Automat zu reagieren und beschuldigte mich, kalt und gefühllos zu sein. Ich ließ seine Kritik ebenso schweigend über mich ergehen wie seine Liebe. Es war zu spät. Wir waren bereits verheiratet, und die Dinge nahmen ihren Lauf. Meine Eifersucht hielt sich, wie ich dir schon sagte, in Grenzen. Seine Affären störten mich nur zu Anfang, kränkten mich in meiner Eitelkeit. Später war ich froh, wenn er sich woanders abreagierte und mich in Ruhe ließ. Der Gedanke an eine Scheidung kam mir aber nie.“
    Ann-Marie geht wieder hinein und steuert geradewegs auf den vermeintlichen Rechtsanwalt zu.
    „Entschuldigen Sie, sind Sie der Anwalt meiner Freundin Anna, Anna Beckmann, gewesen?“
    Er blickt überrascht auf und scheint erst nach ein paar Sekunden seine Sprache wiederzufinden.
    „Ja, mein Name ist Doktor Gerlich.“
    „Ann-Marie Jonas.“
    Sie reicht ihm

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