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Zwischen zwei Nächten

Zwischen zwei Nächten

Titel: Zwischen zwei Nächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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die Hand.
    „Haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich? Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen. Wenn Sie mich vielleicht auf einen kleinen Spaziergang begleiten würden? Es hat zu regnen aufgehört, ich bin gerade draußen gewesen.“
    Ohne seine Antwort abzuwarten, begibt sie sich zur Tür. Will er nicht total unhöflich erscheinen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Widerwillig erhebt sich der große, dünne Mann von seinem Stuhl, greift nach seinem Hut und verläßt zusammen mit Ann-Marie das Lokal.
    Alfred, der die kleine Szene beobachtet hat, ruft ihnen nach: „Ann-Marie, wohin entführst du denn unseren lieben Doktor?“
    Sie würdigt ihn keiner Antwort, sondern redet leise auf den Anwalt ein.
    Herrn Gerlich sind ihre Fragen offensichtlich sehr unangenehm. Er beruft sich auf seine berufliche Schweigepflicht, nennt sie herablassend „Fräulein Jonas“ und schlendert lustlos neben ihr durch den Park.
    Doch so leicht läßt sie nicht locker.
    „Ich will doch nur von Ihnen wissen, ob sie mit Ihnen über eine Scheidung gesprochen hat.“
    Er windet sich wie ein Aal.
    „Haben Sie für Anna die Scheidung eingereicht, ja oder nein?“
    „Eingereicht noch nicht, aber sie hat mit mir darüber gesprochen, das ist richtig. Ich sollte alles vorbereiten und am Tag ihrer Abreise zu Gericht gehen.“
    Er spricht genauso umständlich wie er aussieht, und das soll ein guter Anwalt sein?
    „Hat ihr Mann Bescheid gewußt?“
    „Das nehme ich doch an. Ich habe allerdings noch keine Gelegenheit gehabt, mit ihm diese Angelegenheit zu besprechen. Angesichts der jetzigen Situation scheint es mir eher pietätlos, dieses Thema anzuschneiden.“
    Er straft Ann-Marie mit einem mißbilligenden Blick. Ihre Versuche, mehr von ihm zu erfahren, scheitern; er entzieht sich ihren hartnäckigen Fragen, indem er vorschlägt, wieder zu den anderen zurückzukehren.
    „Ehescheidungen sind immer eine sehr heikle Sache“, bemerkt er geistesabwesend, als sie hineingehen.
    „Wieso heikel? Sie leben schließlich davon.“
    Er schenkt ihr noch einen bösen Blick. Doch sie hat nun einmal beschlossen, ihn nicht in Frieden zu lassen.
    „Ist es nicht völlig normal, daß man sich scheiden läßt, wenn man sich auseinandergelebt hat?“
    „Ich hatte das Gefühl, eine stinknormale Ehe zu führen. Bald nach der Hochzeit verbrachte ich die meisten Abende allein. Manchmal genieße ich es, allein zu sein. Ich krame gern ungestört in meinen alten Sachen herum und kann dann all das tun, wozu ich gerade Lust habe, ohne mit scheelen Blicken oder abfälligen Bemerkungen bedacht zu werden. Im Lösen von Kreuzworträtseln habe ich es inzwischen zu echter Meisterschaft gebracht. Ich war also froh, wenn Alfred nicht zu Hause war und mir seine albernen Geschichten, die ich bereits auswendig kannte, erspart blieben. Er jammerte ständig, daß er zuwenig Geld zur Verfügung hätte, und preßte immer mehr aus mir heraus. Einmal mußte es unbedingt ein Alfa Romeo sein, ein anderes Mal eine teure Kamera. Dabei kann er überhaupt nicht fotografieren, eine ordinäre Pocketkamera hätte für seine Zwecke völlig gereicht. Seine Geldgier ist allerdings noch das geringste Übel. Wesentlich schlimmer ist, daß mir vor ihm ekelt. Wenn erlacht, zeigt er seine schlechten Zähne, und beim Essen rülpst er wie ein Schwein. Natürlich nur daheim, vor anderen weiß er sich zu benehmen. Seine wulstigen Lippen und seine feisten, geröteten Wangen stoßen mich ab. Mir graut vor jedem Kuß. Sein Atem stinkt ständig nach Wein. Die groben, stark behaarten Hände jagen mir Angst ein. Er hat nie gewagt, mich zu schlagen, aber er zertrümmert mit Vorliebe Dinge, an denen ich besonders hänge. Ich habe jede Kleinigkeit, die mir von meinen Eltern geblieben ist, aufbewahrt. Er bezeichnet diese Sachen als meine ‚Fetische‘, und es bereitet ihm ein geradezu sadistisches Vergnügen, alte, verblichene Erinnerungsfotos vor meinen Augen zu zerreißen. Vor nichts macht er halt, chinesische Vasen und Jugendstilgläser haben ebenso dran glauben müssen wie das Kaffeeservice meiner Großmutter. Ich wehre mich kaum gegen seine Grausamkeit, räche mich aber, indem ich ihn meine Verachtung spüren lasse. Mein Verhalten gibt ihm das Gefühl, mir unterlegen zu sein. Und genau das will ich ihn spüren lassen. Er beklagt sich oft über mein Desinteresse an ihm. Bei jeder Gelegenheit kann ich mir anhören, wie frigid und frustriert ich sei. Er schreckt nicht einmal davor zurück, es

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