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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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das blaue Kleid an, heizte zum drittenmal den widerspenstigen Ofen, wusch zum zweitenmal die Hände, schlug Sahne, kostete Speisen, zankte mit dem Mädchen und hatte alles in allem und zu ihrer eigenen, wunderlichen Erleichterung keine Sekunde Zeit mehr, an sich oder Karbon oder sonst etwas zu denken, bis zu dem aufregenden Moment, da sie den berühmten Gast in der Diele begrüßen konnte.
    Der Geheimrat war indessen so warm geworden, daß er die druckreife und dozierende Seite abgedreht und das bayrische Innenfutter seines Wesens ans Tageslicht gebracht hatte. Er küßte der Kollegenfrau die Hand, deren Kernseifengeruch Elisabeth noch schnell durch etwas Kölnisch Wasser zu verdecken gesucht hatte, er besah das Rehle mit Verwunderung und steigendem Vergnügen, er aß zerstreut, aber viel, er trank gründlich vom ›Sonnentreppchen ‹ und fachsimpelte über Tisch so ausführlich mit Doktor Persenthein, daß fast keine deutschen Worte mehr in ihrem Dialog vorkamen.
    Sah man davon ab, daß die Gemüseschüssel einen Sprung hatte, das Filet ein wenig angestochen war – denn Schlachter Seyfried hatte es seit dem letzten Schlachttag hängen – und daß unerwünschterweise das Aushilfsmädchen in Filzbabusdien und mit großen Fersenlöchern an den Strümpfen hereingelatscht kam, um laut flüsternd etwas zu fragen, dann konnte man die ganze Veranstaltung gelungen nennen. Sofort nach Tisch und noch vor der Zigarre zogen die Herren sich in das Sprechzimmer zurück, um den Fall Lungaus und die Ideen des Doktor Persenthein in Ruhe durchzugehen.
    Der Doktor kam nachher noch einmal zurück, fand seine Frau, wo sie hingehörte, nämlich beim Geschirrwaschen, er drückte ihr stark und stumm die Hand – obwohl er die Absicht gehabt hatte, vieles und Entscheidendes zu sagen –, murmelte etwas von Kaffee und Kuchen für vier Uhr und entschwand dann endgültig, mit dem durchscheinenden Blick und den tiefgespannten Mundwinkeln, die bei Geburten, Operationen und Todesfällen sein Gesicht zeichneten.
    »Ich gehe fort, Kuchen holen«, sagte Elisabeth, die es so in sich spürte, als werde sie gerufen, irgendwohin gerufen, aus dem Haus hinaus, auf die Straße oder noch weiter fort. Aber vielleicht war dies nur ein Irrtum ihrer angestrengten Nerven.
    »Darf ich mitkommen?« fragte das Rehle.
    »Nein«, sagte Elisabeth schroff, aus einem Instinkt, der sie Alleinsein suchen ließ. Sie nahm das Einkaufsnetz und verließ das Haus, stemmte die Tür gegen einen Windzug auf, der durch den Angermannsturm geblasen kam, und ging gesenkten Kopfes quer über die Straße, den Marktplatz hinauf und an der Straßenseite entlang, die dem ›Weißen Schwanen‹ gegenüberlag und nebenbei auch zum Geschäft des Bäckers Jännecke führte.
    Peter Karbon, der vergeblich versucht hatte, nach dem Mittagessen ein wenig zu schlafen, stand um diese Zeit unschlüssig an dem Fenster des riesengroßen und erschütternd unbehaglichen Zimmers, das er im ›Weißen Schwanen‹ bewohnte. ›Es muß etwas geschehen‹, dachte er, ›und bald. Ich kann nicht für Zeit und Ewigkeit in diesem Nest sitzen bleiben.‹ Er hatte Unruhe in sich, Heimweh nach Geschäft, Büro, Konferenzen, Reisen, Bewegung, Tätigkeit, Betrieb. Er kam sich so eingeschlafen vor, daß er sich schüttelte. ›Ich muß mit diesem Doktor Persenthein sprechen‹, dachte er ferner. ›Das ist kein Kunststück. Die Sache liegt ja klar.‹
    Aber in Wahrheit hatte er das Gefühl, daß die Sache gar nicht klar lag, nicht mehr. ›Ich liebe Elisabeth, ja, ich liebe sie‹, bestätigte er sich, und dabei war dieses große und pathetische ›Ich liebe‹ kein artikulierter Gedanke, sondern ein Gefühl, das sich nicht abgrenzen oder bestimmen ließ. ›Dieser Doktor macht keinen unmodernen Eindruck, durchaus nicht‹, dachte Karbon weiter und lächelte leicht und mit Sympathie, indem er sich an die kantigen Besonderheiten Persentheins erinnerte. Unmoderne Menschen waren für Peter Karbon – und für seine ganze Lebenssphäre – Menschen, die feierlich nahmen, die Bindungen einhielten und Gesetzen treu waren. Moderne Menschen, das waren Menschen so wie er oder Herr von Mollzahn oder Pittjewitt oder seine Frau, sein Bruder und sein Sohn. Bewegliche Menschen, tief durchdrungen von ihrer eigenen Unwichtigkeit, die nichts ganz ernst nahmen und mit sich reden ließen. Es kam darauf an, ob dieser Persenthein modern war und mit sich reden ließ.
    ›Elisabeth!‹ versuchte Karbon wieder zu denken, mit der

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