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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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steifgekreuzten und vermummten Hände hinunter wie auf etwas Wildfremdes. Auch im Kerzenlicht und Begräbnisduft von Schuppen drei, in dem man sie ein paar Augenblicke allein ließ, verblieb sie unfähig zu beten, unfähig zu weinen, in ihrem trockenen Schmerz. Nur als sie sich dann in das Ehebett neben Frau Müller legte, sagte sie: »Hier ist das Bettzeug auch feucht. Wie bei uns zu Hause.« Wo das wäre, fragte Frau Müller, während sie das Licht abdrehte, und bekam im Dunkeln die Antwort: »In Neubrandenburg.« Dann wurde Frau Fobianke so gänzlich still, als wenn sie sogar das Atmen verhielte, weil es ihr wehtat – und so ähnlich war es auch. Frau Müller streckte später ihre Hand hinüber, und wirklich kamen nach einer Weile die Finger von Frau Fobianke durch die Dunkelheit und legten sich in die ihren; harte, durchkältete Finger, die sich langsam erwärmten, während die beiden Frauen einschliefen.
    Die Männer blieben noch in der Küche sitzen vor zwei Stutzgläsern mit dem leichten offenen Wein der Gegend und besprachen Fobiankes Tod; Müller gab seinen Bericht ab mit dem vielen umständlichen und erdwüchsigen Dialektschmuck des Rheinhessen, und der Metteur hörte einsilbig zu. Pank war ein besonnener Mann, das zeigte sich schon daran, daß er einen haltbaren Kranz aus Glasperlen mitgebracht hatte. Auch wußte er, daß Herr Karbon das Leben seines Schofförs mit einer Summe von fünftausend Mark versichert hatte, und nahm zur Kenntnis, daß man Herrn Karbon vorläufig den Tod seines Schofförs verheimlicht hatte, was er übertrieben wehleidig fand. Er war ein kleiner Mensch mit gnomenhaftem Ausdruck, einem grauen Bart, der das Gesicht so überwuchs, daß nur noch die Augen zu sehen waren, große, tiertraurige, überanstrengte Augen hinter Kneifergläsern. Nach und nach trat zutage, daß der Obermetteur Pank ein überaus belesener Mann war, ein Kopf und Denker, ein nicht unwichtiges Rad in der Maschine seiner Partei. Er war es so gewöhnt, kollektiv zu denken, daß er bald den privaten Inhalt des Gesprächs, so schmerzlich und bedeutend er immerhin sein mochte, erledigt hatte und nun ins Allgemeine ausbog. Bis um elf Uhr am Abend hatte er dem Schofför Müller alles Wesentliche über die Akkumulatorenfabrik herausgefragt und geriet in eine heftige, wenn auch niedergeschlagene Erregung über die Tatsache, daß in Obanger der Akkordlohn herabgesetzt worden war. Es war ein Punkt, auf den er ein paarmal zurückkam und über den ihm Müller nur unvollkommene Auskünfte geben konnte, da er zwar aus der Arbeiterschaft hervorgegangen war, aber schon seit mehreren Jahren eine Sonderstellung und -bezahlung hatte.
    Schließlich versprach er dem Metteur, am nächsten Abend den Betriebsrat der Fabrik in Oertchens Wirtschaft zusammentrommeln zu wollen. Pank machte sich einige Notizen in ein Wachstuchbuch und äußerte ohne weiteres den Wunsch, noch ein Telegramm an irgendeine nicht näher bezeichnete Parteiinstanz in Berlin aufzugeben. Davon konnte nun allerdings in Lohwinckel um elf Uhr nachts nicht die Rede sein, das Postamt war geschlossen, Herr Assistent Munk schlief schon längst, und so gingen auch die beiden Männer schlafen. Der Obermetteur Pank in die Kammer, nachdenklich und wortkarg, der Schofför Müller in die Garage, wo er sich einfach in Herrn Profets Limousine legte und einschlief mit dem Gefühl, daß seit dem Unglück auf der Düßwalder Chaussee etwas in Bewegung geraten sei, das bisher festgemauert wie Stadtwall und Angermannsturm gestanden habe.
    Der Montag ist gemeinhin ein verschlafener, unlustiger Tag, an dem die Maschinerie des Arbeitsmenschen nicht ohne weiteres anzukurbeln ist. Aber nichts davon an diesem Montag! Die Leute von Obanger kamen an und brachten eine merkwürdig aufgekratzte und fieberhafte Munterkeit mit, manche waren von ihren Frauen begleitet. Das Tor zum Fabrikhof war offen – selbstverständlich war es offen, man mußte ja aus und ein gehen und fahren. Ein Kranz für Fobianke langte an, Herr Profet schickte einen Kranz – der übrigens nicht vom Gut stammte, sondern aus der Düßwalder Gärtnerei. Bis Mittag stand der Fabrikhof schon wieder voll von Leuten, die nichts dort zu tun hatten. So ging das nun wirklich nicht, die Betriebsordnung litt darunter. Der Werkmeister Birkner selber war der Meinung, daß es so nicht ginge, er kam in den Hof herunter, ließ seine Gießerei im Stich, um den Menschen, die erwartungsvoll herumscharrten, zuzureden. Sie erwarteten etwas, sie

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