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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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finde. Punktum.
    Soviel erfuhr man also durch Birkner, der anscheinend über diesen Punkt mit Herrn Profet Verhandlungen gepflogen hatte. Auf welche Weise aber die Geschichte mit dem Sekt aufkam, das konnte später niemand sagen. Der Arbeiter Lungaus war einer der ersten, der es herumtrug, und bis zum Nachmittag wußten es alle in Obanger und viele in Lohwinckel: daß man in der Profetschen Villa im Priel gleich nach dem Unglück Sekt gesoffen habe und lustig gewesen sei, während der tote Schofför sehen konnte, wo er blieb. In Lungaus' Mund nahm dieser Bericht eine besonders aufsässige Färbung an; abgemagert und ausgehöhlt, wie ihn die Krankheit im Verein mit Doktor Persentheins Idealdiät gemacht hatte, stand er an allen Ecken, unruhig und rebellisch und angefüllt mit Neuigkeiten, die zu Skandal und Unzufriedenheit reizten. Mensch, da hatte er den zerdebberten Koffer des Herrn Karbon auspacken helfen, zerschlagene Kristallflaschen, alles stank nach Parfüm, wie bei den Mädchen im ›Schwarzen Hechten‹ in Schaffenburg. Kopfbürsten und so Zeug hatte der aus Silber und mit'm Monogramm extra. Wenn er zur Toilette ging, hatte er seidene Hosen an mit lila Streifchen, als wenn er im Zirkus auftreten wolle. Das Frauenzimmer, das sie aufs Gut gebracht hätten, sei auch bloß so eine – Mensch! Der Jude Markus habe eine Zeitung, da sei sie splitternackt drin abfotografiert – so wahr wie ich lebe. Sie hätte es auch mit beiden Berlinern, denn es sei so teuer, so ein Frauenzimmer zu halten, daß sich neuestens immer ein paar zusammentäten zu so was. Der Boxkerl bei Profets, der besoffene, der hätte für einen Abend dreißigtausend Mark bezahlt bekommen, Mensch, für einen einzigen Abend dreißigtausend Mark, für nichts als ein bißchen Keilerei! Da wüßte man doch, wo das Geld bliebe und warum man dreiundvierzig Mark die Woche bekäme und noch ein bißchen Blei in die Knochen dazu als Draufgabe. Dies und noch mehr brachte Lungaus im Ort herum; er war sonst unbeliebt, ein Ortsfremder aus Norddeutschland, ein unzuverlässiger Bursche, man sprach von Betriebsdiebstahl und Gefängnis. Aber heute war man bereit, ihm zuzuhören und sich dieses inwendig brennende Gefühl von Unzufriedenheit einpflanzen und begründen zu lassen. Die älteren Arbeiter trafen sich abends in Oertchens Gastwirtschaft – was sie übrigens an andern Sonntagen auch taten –, und es war viel von den dreiundvierzig Mark per Woche die Rede. Man war um sechs Pfennige im Akkordlohn gedrückt worden, und man blieb, verflucht und vernagelt, bei dieser ungebührlichen Bezahlung. Wer nicht wollte, brauchte nicht. Es wurde keiner gezwungen, sagte Herr Profet. Bitte. Die jungen Arbeiter zogen nachmittags auf den Sportplatz, eine kurzgrasige, lehmige Wiese hinter Obanger; den Gymnasiasten hatte Direktor Burhenne tatsächlich das Spiel verboten. Sie standen in ihren Sweatern rund um die Wiese, Fäuste in den Taschen, und schrien heisere Rufe in das Spiel hinein, das die Arbeiter untereinander ausfochten. Auch in den Gymnasiasten steckte eine gepfefferte Unruhe. Auch in den jungen Arbeitern. Sie tobten mit ihren ungeschlachten, siebzehnjährigen Gliedern über die rutschige Grasnarbe, keilten und holzten, daß es schlimm war, und ein linker Stürmer kriegte etwas ab, daß er liegenblieb und nicht wieder hochkommen konnte, so daß sie ihn zu seiner Mutter abschleppen mußten, der alten Frau Psamatis am untern Mühlenwall, die weinend zum Doktor Persenthein lief, mit dem sie durch ihren Beruf sich verbunden fühlte.
    Am Sonntag abend kam dann Frau Fobianke an, der Schofför Müller holte sie auf eigene Verantwortung mit einem leeren Lieferwagen von der Station, und sie brachte ihren Bruder mit, den Obermetteur Pank. Sie war eine kleine Frau, nicht jung, älter auf jeden Fall als ihr verunglückter Mann, schmallippig und unansehnlich. Sie war ganz starr, wie gefroren vor Schrecken und Kummer. Es sah aus, als könne sie die Hände nicht bewegen, die Lippen nicht bewegen, die Augäpfel nicht bewegen, auch redete sie kaum ein paar Worte, als Frau Müller sie am Fabriktor in Empfang nahm und ins Haus führte. Sie trug ein dunkles Kleid, nicht schwarz, sondern tiefbraun, und da sie vor der Abreise noch die bunte Stickerei herausgetrennt hatte, waren an Kragen und Ärmeln sonderbar verbrauchte, knitterige und zerstochene Stellen sichtbar. Sie hatte schwarze Handschuhe an, eine baumwollene Imitation von Wildleder, und von Zeit zu Zeit starrte sie auf ihre

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