Zwischenfall in Lohwinckel
fahlwarmes Rot zeigte. »Jawohl, Weinberge. Die hier sind nichts Besonderes«, sagte Herr Profet, blieb stehen, löste eine letzte kleine, grüne Traube mit kleinen zarten Beeren von einem der Stöcke ab und hielt sie dem Boxer auf der flachen Hand entgegen. »Aber weiter unten, gegen den Rhein zu, ist noch ein Stück, Sonnentreppchen heißt es, o ja, Donnerwetter!«
»Gehört alles Ihnen?« fragte der Boxer und nahm die Traube.
»Mir? Nein, das gehört zum Gut«, antwortete der Fabrikant und setzte sich wieder in Gang. Etwas später – und Albert hatte schon vergessen, wovon die Rede war – setzte er hinzu: »Hören Sie – das heißt: Eigentlich gehört es mir. Alles. Es hängt nur von mir ab, ob das so weitergeht mit diesen Raitzolds. Verstehen Sie?«
Und dann sprach er kein Wort mehr bis zur Station hinunter, wo Müller mit dem Auto sie erwartete.
Mehr passierte eigentlich an diesem Montag nicht. Nur daß Doktor Persenthein einen sonderbaren Streit mit der Witwe Fobianke hatte, bei dem sie begriffsstutzig, eisgefroren und wortarm blieb wie bisher, während er sich in einen hitzigen und stürmischen Eifer redete. Es ging, mit einem Wort, um die Obduktion des Toten. Der Doktor hätte viel darum gegeben, seine Diagnose einer Leberruptur nachprüfen und bestätigen zu können. Er bohrte hartnäckig an Frau Fobiankes starrer Ablehnung herum und führte sogar irgendwelche Vorschriften bei Unglücksfällen ins Treffen. Frau Fobianke wußte nur, daß es ihrem Mann schon grausam genug ergangen sei, und es war ihr so, als wenn der zufriedene Tote zu schreien beginnen würde, wenn man ihm nun noch etwas antäte. Sie konnte das nicht so ausdrücken; sie sagte bloß: »Nein« und »Nein« und wieder »Nein«. Doktor Persenthein knatterte schlecht gelaunt davon, mit dem Rehle hinter sich auf dem Soziussitz, hinaus aufs Gut, um nach Leore Lania zu sehen. Er war unruhig, unzufrieden und niedergeschlagen seit dem Autounglück, er wußte nicht warum. Die Leute blieben stehen, sahen ihm nach, redeten über ihn, er wußte nicht was.
Und dann war da noch der Obermetteur Pank, der ein paar kurze Unterredungen hatte an diesem Montag. Eine mit Herrn Karbon, bei der Herr Karbon die gestreiften seidenen Pyjamahosen trug, die den Arbeiter Lungaus so erbitterten. Karbon wurde blaß und totenübel, als er von dem Unglück seines Schofförs erfuhr, das ihm bis dahin verheimlicht geblieben war. Er hatte noch nicht die richtige Standfestigkeit wiedergewonnen. Frau Persenthein stand dabei und wischte ihm die Stirne mitleidig mit Kölnisch Wasser ab. Doktor Persenthein fluchte laut, als er heimkam und seinen langen rothaarigen Patienten mit einem kleinen Nervenzusammenbruch vorfand. Der Obermetteur begab sich indessen weiter, er bestellte bei Herrn Curvier die Beerdigungsfeierlichkeiten, zog nach dem Priel hinaus, störte Herrn Profet beim Kaffee auf und redete mit ihm bis zum Abend. Dann ging er auf das Postamt, gerade bevor es geschlossen wurde, und gab eine Depesche auf, betreffend den Umstand, daß in Obanger die Akkordlöhne gedrückt worden waren. Hernach begab er sich in Oertchens Wirtschaft, wo er sich mit dem Betriebsrat der Fabrik traf.
Dienstag um drei war dann das Leichenbegängnis von Wilhelm Fobianke. Die Kirchenglocken läuteten schon um zwei, denn da wurde der tote Knecht Jakob Wirz begraben. Aber als sich im Fabrikhof draußen der Zug mit Herrn Curviers schwarzsilbernem Wagen in Bewegung zu setzen begann, läuteten sie von neuem. Das war eine Freundlichkeit des strengen alten Pfarrherrn für den Verunglückten. Frau Fobianke saß mit ihrem Bruder und dem Ehepaar Müller in einer schwarz ausgeschlagenen Kutsche, die anderen Arbeiter tapsten zu Fuß hinterher. Es regnete seit der Nacht, im weichen Friedhofsboden liefen tiefe, wassergefüllte Fußspuren kreuz und quer, in dem neuen, offenen Grab versickerte dunkel die Regennässe. Der Wind pfiff von Osten herüber, und die Regentropfen hingen schräg in der Luft wie gespannte Fäden.
Übrigens hatte es eine besondere Bewandtnis damit, daß die Arbeiter dem Sarg folgten. Es geschah mitten in der Arbeitszeit und gegen das Verbot von Herrn Profet. Herr Profet war lange in einer Zwickmühle gesessen und hatte überlegt, er hatte mit Birkner verhandelt und mit Pank, und zuletzt hatte er es verweigert, den Arbeitern freizugeben. Das geschah weniger aus Unfreundlichkeit als aus Angst. Herr Profet war selber einmal ein kleiner Mann gewesen; er spürte, was los war. »Es liegt
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