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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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wußten nicht was. Sie hatten gehört, daß einer aus Berlin da sei, der gesagt hatte, alles müsse anders werden in Lohwinckel. Birkner, der nach einer kurzen Unterredung mit Pank selber hochzugehen angefangen hatte, schüttelte den Kopf. Er vermochte nicht viel über die Leute, die innen im Hof und draußen die Mauer entlang standen. Was zur Fabrik gehörte, arbeitete. Der Formationsraum stand in seinem stechenden Schwefelsäuredunst, in der Postierwerkstatt rasselten die Gitterplatten von den Stapeln, die Schmierer hantierten mit Bleiglätte, der Versandraum schichtete fertige Starterbatterien auf. Was sich da im Hof zusammenschob, das waren die andern von Obanger, die Proletarier von Lohwinckel, die ungelernten Arbeiter, die Arbeitslosen, die stellungsuchenden Handwerker, die Frauen, Eltern und Kinder von Leuten, die zu wenig verdienten. Sie wollten den toten Schofför sehen; sie wollten aber auch den lebendigen Mann aus Berlin sehen, der gesagt hatte: ›Alles muß anders werden, und Schluß mit der Hundebezahlung.‹ Da standen sie also und warteten.
    Schließlich rückte Herr Profet an, schickte die Leute fort und ließ das Tor wieder schließen. Er mußte seinen Befehl dreimal geben, bevor sie sich hinausschoben, und ein paar murrten ziemlich laut dabei. Der Arbeiter Lungaus, der an diesem Morgen wieder in Arbeit getreten war und gerade mit einer Formplatte auf der Schulter durch den Hof kam, blieb stehen und machte ein höhnisches Gesicht. Und zwar galt sein Gesichtsausdruck nicht dem befehlenden Herrn Profet, sondern den Leuten, die sich hinauswerfen ließen. Sie empfanden das auch genau, und es fuhr fort, sie zu wurmen, während sie draußen vor der Mauer verblieben. Zuletzt flogen zwei leere Bierflaschen über die Mauer, trafen niemand und waren wohl nur scherzhaft gemeint.
    Herr Profet, der im Auto vom Priel herübergekommen war, hatte Franz Albert bei sich, seinen Gast, dem er die Fabrik zeigen wollte. Albert hatte seinen Nervenschock wieder gänzlich überwunden, er sah wohl und adrett aus, und Frau Profet hatte seinen zerfetzten Lumberjack reparieren lassen. Er ging mit verlegener Engelsmiene durch die Säle, lächelte töricht und hätte gern mit den Arbeitern gesprochen, aber er verstand ihren Dialekt nicht. In der Gießerei verweilte er etwas länger und schüttelte lächelnd den Kopf, er nahm auch eine Gitterplatte in die Hand und drehte sie lächelnd hin und her. Schließlich äußerte er murmelnd, daß sein Vater Eisendreher gewesen sei.
    Um ein Uhr erfuhr man im Gymnasium, daß der Boxer in der Fabrik draußen sei, und kurz nach halb zwei zogen die Buben rudelweise heran, von der Quarta aufwärts, denn dies war nun ihre Angelegenheit und betraf sie ganz allein, und es war von ungeheurer Wichtigkeit für sie, den deutschen Mittelgewichtsmeister aus der Nähe zu sehen. Profets Jungen, Paul und Otto, die mit den Berichten über ihre vertraute häusliche Bekanntschaft mit Franz Albert das ganze Gymnasium wild gemacht hatten, führten an. Mit ihren unproportioniert großen Füßen kamen sie herangetrampt, zwölfjährige Sopranengel, problematische Obertertianer mit Pickeln und Stimmbruch und weise Bassisten aus der Prima, und der Wirrwarr im Umkreis der Fabrik stieg an. Die Straße an Profets Besitztum hatte keinen Namen, man nannte sie einfach ›An der Mauer‹. An der Mauer gab es kurz nach zwei eine erstklassige Prügelei zwischen den Buben von Obanger und den Gymnasiasten. Zwar standen Keilereien zwischen Volksschülern und Gymnasiasten auf der Tagesordnung und gehörten zur Tradition von Lohwinckel. Aber diese da, an diesem Montag, war besonders schlimm, sie hatte eine besondere Schärfe, es lag ein sonderbarer Haß auf dem Grunde, und es hieß, daß zuletzt sogar die Großen sich eingemischt und mitgekeilt hätten. Den Boxer kriegten sie übrigens alle zusammen nicht zu sehen, denn Herr Profet verließ die Fabrik mit ihm zu Fuß und bei dem rückwärtigen Ausgang, eben dort, wo an dem Katastrophenabend das Auto sich so steil verfahren hatte.
    Franz Albert erkannte dumpf die Stelle wieder wie etwas Geträumtes, die Brennesseln im Straßengraben dufteten so scharf. Auch fiel es ihm ein, wie unangenehm es damals war, mit der Lania unter der Wagendecke zu sitzen, und dabei begann es ihn in der Wirbelsäule zu prickeln, als stiegen wunderliche Blasen in ihm auf.
    »Sind das Weinstöcke?« fragte er, auf die schieferigen Hügel zur Straßenseite blickend, deren Laub jetzt im Tageslicht ein

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