Zwischenfall in Lohwinckel
etwas in der Luft«, sagte er zu seiner Frau und wischte ein wenig Schweiß von seinem rasierten Kugelkopf. »Es setzt etwas, wenn man jetzt nicht den Herrn zeigt«, sagte er zu Franz Albert, er trommelte an die Fensterscheiben, irrte ins Kinderzimmer und faßte schließlich seinen Entschluß.
Der Entschluß war falsch. Die Arbeiter ließen sich nichts verbieten. Um ein Uhr hörten sie auf zu arbeiten, gingen nach Hause, zogen ihre schwarzen Röcke an, soweit sie welche hatten, und dann kehrten sie zur Fabrik zurück mit verbissenen Justamentsgesichtern, Herr Profet war ihr Feind von jeher. Aber der Berliner Schofför, den sie erst kannten, seit er tot war – er war ihr Freund und Verwandter. Der evangelische Pastor von Düßwald sprach ein paar hölzerne Worte, Herr Pank hatte eine größere Rede abgelehnt, und dann trugen sechs Arbeiter den Sarg aus Schuppen drei heraus.
Die Beerdigung war so sehr eine Angelegenheit der Arbeiter geworden, daß die Bürger von Lohwinckel sich in einiger Entfernung hielten. Sie standen auf den Straßen, hingen aus den Fenstern und säumten mit Regenschirmen die Friedhofsmauer, aber sie schlossen sich dem Zug nicht an.
Das magere Gutspersonal, dreiundzwanzig Leute mitsamt den Hinterbliebenen des Jakob Wirz, blieb allerdings auf dem Friedhof zurück, um das Vergnügen einer zweiten Beerdigung mitzunehmen. Herr von Raitzold seinerseits, der dem Zug am Tor begegnete, stieg schnell in seine Kalesche und fuhr fort; seine Schwester wieder, in ihren Reitstiefeln und einem verschossenen schwarzen Wachstuchmantel, stellte sich fest in den matschigen Boden vorne hin neben die Leidtragenden und neben Doktor Persenthein. Doktor Persenthein nämlich war anwesend, es war nicht angenehm, daß er zwei Klienten an einem Tag zu begraben hatte, aber so war Doktor Persenthein. Er lief nicht davon, wenn es unangenehm wurde. Er stand da im Regen, sah in die verschlossenen und unterirdisch erregten Gesichter der Obangerer und kaute innerlich ziemlich hart auf seiner unbestätigten Diagnose einer Leberruptur herum, während der Pastor neben der offenen, nassen, lehmgelben Grube seine Pflicht tat. Herr Profet war abwesend, auch Herr Karbon; dieser auf Persentheins strengen Befehl hin. Anwesend war hingegen das Gymnasium, von Untertertia aufwärts. Warum sie gekommen waren, wußten die Jungen nicht recht. Wahrscheinlich nur, weil Putex es verboten hatte. Der Geist der Aufsässigkeit und Unbotmäßigkeit hatte von den Arbeitern auf die Jugend von Lohwinckel übergegriffen. Sonderbarerweise hatte sich auch noch Herr Markus eingefunden, in Schwarz, mit Zylinder und schwarzen Handschuhen; er wechselte ein paarmal seinen Platz, aber es bildete sich immer ein kleiner Kreis von Luft um ihn, und er blieb allein.
So nimmt alles seinen eintönigen Verlauf unter einer Decke von Regenrauschen und Glockengeläute. Der Pastor spricht ein paar Worte darüber, daß dieser Wilhelm Fobianke als ein Opfer seines Berufes gestorben ist, und wirft ein bißchen nasse Erde hinunter; Herr Pank nimmt ihm die kleine Kelle ab, tut das gleiche, sagt das gleiche. Nur daß bei ihm alles klingender, tönender wird, aufregender. Er steht da mit seinem Gnomengesicht, sonst schweigsam und besonnen, jetzt aufgeschlossen, mit der Gebärde des geübten Versammlungsredners, und in seinem Mund nimmt das Wort ›Opfer‹ eine andere Bedeutung an. Er nennt die Versammlung nicht ›Geehrte Leidtragende‹, sondern ›Genossen‹, das ist ihm ganz selbstverständlich, und jeder einzelne fühlt sich davon aufgerufen und in eine Gemeinschaft einbezogen. Herrn Markus rückwärts schießen ganz plötzlich und ohne Grund zwei stechende und vereinzelte Tränen in die klugen, kurzsichtigen und resignierten Augen. Dann gibt der Obermetteur die Kelle weiter an seine Schwester.
Es sind viel zu viel Leute auf dem kleinen Friedhof, und alle drängen in diesem Augenblick vorwärts, und manche steigen auf Grabhügel. Frau Fobianke tritt neben die drei Kränze, die da liegen, löst ein paar lehmige Erdklümpchen los, wobei ihr Herr Curvier behilflich ist, und wirft sie hinunter. »Tja –«, sagt sie dazu, es klingt völlig ratlos. Sie steht noch ein wenig da, sieht in das offene Grab, sieht um sich, sieht in die fremden Gesichter. Schließlich zieht Frau Müller sie vom Grab fort, die Versammlung beginnt mit den Füßen zu scharren und zu patschen, und Herr Birkner gibt der Witwe die Hand, gleich nach dem Pastor. Frau Fobianke sieht sich um. »Wo ist denn
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