Zwischenfall in Lohwinckel
mit ihm, schlief mit ihm, Simotzky packte ihn ein wie ein Paket, verfrachtete ihn nach Spanien, nach Holland, nach Amerika, Simotzky beschaffte ihm die Muskeln, die er brauchte, das Geld, das er verdiente, Sparringpartner, Eisenbahnbillette, in weiten Zeitabständen sogar ein Mädchen. Simotzky wußte, was gut für ihn war, wann er essen, trinken, schlafen, schwitzen, trainieren oder Beruhigungsskat spielen sollte. Simotzky war gut wie eine Amme und streng wie ein Galeerenaufseher mit Franz Albert.
An diesen Simotzky hatte Franz Albert einen ganz ordentlichen Brief geschrieben, folgenden Inhalts:
Herrn Alexander Simotzky, Sportschule, Berlin, Kaiserallee 14a.
›Lieber Alex!
Muß Dir mitteilen, daß wir mit dem Auto Pech gehabt und umgeschlagen haben. Erschrecke jedoch nicht, lieber Alex, denn es ist noch gut gegangen, und bin ich toi, toi, toi heil geblieben. Nur hat mir der Schreck die Nerven kaputt gemacht und bin ich vorläufig zu schlapp zu trainieren. Der Doktor meint aber, daß ich in wenigen Tagen wieder hoch sein werde. Die andern haben mehr abgekriegt, vor allem die Lania soll furchtbar hergerichtet sein. Mit der ist es wohl vorbei, das Gesicht kreuz und quer geflickt. Ich habe nur ein kleines Ding an der Nase, linken Daumen verstaucht, und der Riß am Ohr hat wieder etwas geblutet. Befinde mich sonst gut, wohne bei netten reichen Leuten hier in einem ganz kleinen Nest, finde das sehr gemütlich. Nur ist mir das Essen zu viel und zu schwer, und die Dame nötigt immer, was man wegen Höflichkeit doch beachten muß. Fürchte nur, daß mich das viele Fressen aus der Form bringt, aber sei beruhigt, Franz hält sich schon. Wenn Du den Kampf mit Kid Rowmies fest hast, telegrafiere mir sofort. Mit mir kannst du sicher rechnen. Habe mir aber geschworen, daß ich nie wieder ohne dich losziehe.
Verbleibe mit Gruß Dein
treuer Franz‹
Da Franz Albert daraufhin noch keinen Befehl von Simotzky erhalten hatte, saß er vorläufig still in Lohwinckel, gesund, aber ratlos und völlig unfähig, sich kraft eigenen Entschlusses zur Bahnstation Lohwinckel-Düßwald und von dort nach Berlin zu transportieren.
»Ich versaue hier vollständig«, sagt er an diesem Mittwoch, geht hin, schneidet sich in der Küche ein Stück von der Wäscheleine ab und springt erst mal drei Runden Seil, ganz leicht, man sieht seine Füße gar nicht zu Boden kommen. Frau Profet wohnt mit schwimmenden Augen dem Schauspiel bei. Rund um den Boxer riecht es so heftig nach gesundem Schweiß, daß Frau Profet sich im Innersten zu schämen beginnt.
Herr Profet telefoniert indessen mit seinem Freund Kramsch in Schaffenburg: »… Tjawohl, kannst du rechnen damit. Ich übernehme die übrigen Hypotheken, 38.000 Mark zuzüglich der fälligen Zinsen seit Mai, riskiere ich, jawohl, ich riskiere es. Der Weinberg war zweihundert Jahre in der Familie Raitzold? Schön, dann wird er die nächsten zweihundert Jahre meiner Familie gehören, Fräulein, Fräulein, die Verbindung ist heute ganz schlecht –«
Ein napoleonischer Zug. Davor hat Herr von Raitzold Angst gehabt, mehr als vier Jahre lang. Dazu hat Herrn Profet der Mut gefehlt – bis heute. Plötzlich ist er in Schuß geraten und hat den Mut. Es ist wie bei einem Bergrutsch. Erst zittern nur kaum merklich die Baumwipfel, dann erfaßt es die Wurzeln, dann gleitet der ganze Boden rasend davon. Lohwinckel glitt; Lohwinckel war in Bewegung geraten.
Wo ist Müller mit dem Auto? Müller ist da, das Auto nicht. Das Auto ist nicht in Ordnung, tut Müller verbissen kund, etwas mit der Kardanwelle, langwierige Geschichte, man muß auf Ersatzteile warten. Undurchschaubare Geschichte. Herr Profet ist genötigt, zu Fuß zur Fabrik hinaus zu gehen, vierundvierzig Minuten lang, und manche Leute grüßen ihn nicht einmal.
Die Fabrik war in einem ähnlichen Zustand wie das Auto: Sie funktionierte nicht. Die Arbeiter waren da – mehr als zwei Drittel zumindest waren da, und es sah auch so aus, als ob sie arbeiteten, aber es war nur Scheinarbeit. Im Formationsraum ging die elektrische Leitung nicht, und Schuppen drei ebenso wie der Kistenlagerraum lagen stockfinster da. Ein Kurzschluß, dessen Ursache man achselzuckend für zunächst unauffindbar erklärte. »Wir haben ja immer verlangt, Fenster müssen in die Bude hineinkommen; haben wir ja immer verlangt –«, sagte Birkner, der in strammer Haltung seine Meldungen abgab. Herr Profet, der den nackten Hohn und die Widersetzlichkeit spürte, trat den Rückzug an.
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