Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
Vom Netzwerk:
Persentheins strapazierten Absätzen. Sie wurde ein wenig rot dabei.
    »Weil das Mädchen seit zwei Tagen nicht kommt – sie ist aus Obanger, und da hat man sie aufgehetzt – und Lungaus ist nicht wachzukriegen – das Rehle hilft ja auch –«, sagte sie voll Verlegenheit und Herzensnot.
    »Ich bin gewöhnt, mir meine Stiefel selber zu putzen; das ist englisch. Kein Lord in ganz England würde erlauben, daß ihm jemand andrer die Stiefel putzt«, behauptete Peter mit einiger Kühnheit, machte seinen Braunen summarisch fertig und nahm sogleich die schwarzen Damenschuhe in Arbeit, die außer der Reihe standen. Elisabeth wurde so plötzlich übermütig, daß sie sich selber nicht begriff. Sie hatte einen ihrer Blitze.
    »Das mit den Lords ist ja allgemein bekannt«, sagte sie. »Ich wußte nur nicht, daß die Lords auch den Ladies, auf deren Castles sie eingeladen sind, die Stiefel putzen.«
    Peter pfiff. Er kroch mit der Hand ganz tief in den Schuh hinein, mit einem durchtriebenen und tief zärtlichen Gefühl. Der Schuh war lang, er hatte die auffallende Schmalheit von Elisabeths Fuß angenommen. Er hatte einen flachen Absatz und war vorne durchgerissen und mit gewachstem Schusterzwirn wieder gestopft. Peter liebkoste den Schaden ein wenig, mit einem hurtigen Blick zu Elisabeth. Sie sah es – sollte es auch sehen – und wurde tiefernst. Es lag ein halber Meter Luft zwischen ihrer Schulter und seiner, aber diese Luft war voll einer ziehenden, zerrenden, gefährlichen Spannung. Im Verschlag dahinter hockte Rehle und schabte pflichteifrig den Schmutz von ihren eigenen kleinen, immer nassen Stiefeln.
    »Ich habe von Ihnen geträumt«, sagte Karbon.
    Pause. Das nächste Paar Stiefel.
    »Jawohl«, setzte er hinzu, als ob sie ihn etwas gefragt hätte. »Etwas Wunderbares.« –
    »Sagten Lady etwas?« fragte er nachher.
    Elisabeth nahm ihren Blick hoch und schaute ihm senkrecht in die Augen. ›So geht das nicht weiter‹, dachte sie. »Sie bringen mich ganz durcheinander«, sagte sie mutig.
    »Ja? Tue ich das?« fragte Karbon und nahm ihren Blick auf. Langsam wurde auch er ernsthaft. »Tue ich das?« fragte er langsam noch einmal. Er wünschte heftig, ihre Hand zu nehmen und wieder auf sein Herz zu legen, aber sie hatten beide Stiefel auf den Händen. »Mutter hat geheult«, äußerte das Rehle im Hintergrund. Jetzt legte Karbon die Bürste fort und strich zart über Elisabeths Knie, dreimal. »Das darf Mutter nie mehr tun«, sagte er leise. Gleich darauf schien er in größter Eile zu sein. »Ich muß sofort telefonieren«, verlangte er und war schon unterwegs. »Was denn – warum denn?« fragte Elisabeth verwirrt. »Weil ich gesund bin. Wissen Sie nicht, daß jeder gesunde Berliner morgens erst mal eine Stunde telefonieren muß?«
    Sie stand jetzt auch auf und schüttelte ihre Schürze, es war nicht die verzauberte von gestern, sondern die mit den Marienkäferchen. »Der Apparat ist im Sprechzimmer. Wird es Sie stören, wenn ich – ich muß nämlich jetzt dort aufräumen –«
    »Merken Sie es denn nicht?« fragte er, schon hinter ihr in das Zimmer eintretend, das voller Hinterlassenschaft von Persentheinschem Zigarrenrauch, gefüllten Aschentellern, geleerten Kaffeetassen und verstreuten Schriftstücken war.
    »Was denn, Herr Karbon?«
    »Daß ich hinter Ihnen herlaufen möchte wie ein kleiner Hund, Frau Doktor Persenthein. Daß ich –«
    Er brach ab und machte sich über das Telefon her. Das Rehle half ihm bei der Bedienung der altmodischen Kurbel und brachte das Telefonbuch herbei, Mainz und Umgebung, Lohwinckel, siehe unter Düßwald-Lohwinckel. »Kannst du es jetzt allein? Ich muß nämlich arbeiten«, sagte Rehle nicht ohne Würde. Rehle hatte Missionen in diesem Zimmer zu erfüllen. Zum Beispiel mußte sie den Papierkorb ausleeren. Rosa, grüne und blaue Glasschälchen – Benützen Sie als moderner Arzt nur Kliemanns farbige Blockgläschen! – in Reih und Glied stellen. Die Post hereinbringen. Die durcheinandergeworfenen Zeitschriften nach Nummern ordnen, denn Nummern konnte man schon tadelfrei lesen. Elisabeth ging hin und her, zu den geöffneten Fenstern atmete der warme Morgen herein, die Kirchenglocke läutete schon wieder, diesmal galt es der verstorbenen alten Dame, Prieler Straße vierunddreißig.
    »Glocken – wie katholisch das klingt!« rief Karbon in das Telefon, er sprach mit Leore Lania draußen auf dem Gut. Elisabeth, die es nicht hören wollte, hörte es doch mit:

Weitere Kostenlose Bücher