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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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»Pittjewitt, wie geht's dir?« und: »Pittjewitt muß vernünftig sein!« und: »Heute nachmittag besuche ich das arme unglückliche Pittjewitt.«
    Das tat schon wieder auf diese niederträchtig kochende und beißende Weise weh, diesmal erkannte Elisabeth schon, daß es Eifersucht war. Es gab einen Riß von Klarheit in ihr, während sie vor dem Sterilisator stand und mit der Pinzette die ausgekochten Spécula aus dem heißen Wasser fischte. Karbon indessen hatte schon ein Zimmer im ›Weißen Schwanen‹ belegt, kurz mit Franz Albert gesprochen und durch dringenden Fernanruf irgendeinen Herrn Drögemann in seinem Berliner Büro erreicht. Sein Gesicht schaltete sich um, es zog sich zusammen zu der angespannten Maske, die alle Männer der Welt im Beruf tragen, es schwirrte von Daten, Konferenzen, Kabel nach London, Rede des Außenministers, Gegenversicherung, dann kamen noch Vorwürfe wegen der schlechten Übersetzung eines Inseratentextes – und wie steht die russische Angelegenheit? – Danke, Schluß bis morgen.
    »So«, sagte er gleich darauf mit entspanntem Gesicht. »Jetzt habe ich ein bißchen Luft geschafft. Jetzt kann ich hier bleiben, solange es nötig ist.«
    »Wann wollten Sie denn abreisen?«
    »Es hängt nicht von mir allein ab –«, antwortete er vieldeutig, schaute begeistert auf den rosa Schatten, der an Elisabeths Nacken aufstieg – ›Herrgott, Herrgott, eine Frau, die erröten kann‹, dachte er – ›Er muß ja auf seine Schauspielerin warten‹, dachte sie –, nahm ohne weiteres den Besen, den sie hatte stehen lassen, und trabte hinter ihr her durch die Diele, in der sich die ersten Patienten eingefunden hatten.
    Um zehn Uhr hilft Peter Karbon im Keller unten bei der elektrischen Pumpe, um halb elf hockt er in der Küche und spaltet Holz, nachher nimmt er Lungaus' Platz auf der Kohlenkiste ein und hilft Kartoffeln abbürsten, er macht auch Brote für Doktor Persentheins zweites Frühstück zurecht, während Elisabeth Tee kocht und Spinat verliest. Karbon amüsiert sich großartig dabei, es ist lächerlich und blödsinnig, daß er so gern in der Nähe dieser Frau ist, aber so steht es nun einmal, und er hat beschlossen, vorläufig keine Minute von ihrer Seite zu gehen. Was Frau Doktor Persenthein betrifft: Es ist ganz sicher, daß sie in ihrem ganzen Leben noch nie so glücklich war wie an diesem Vormittag. Es ist dieses tanzende und schmerzende Glück, dieses transparente, leuchtende, schwebend über einer Tiefe von Angst und Abschiedswissen, mit dem Liebe beginnt: Goldener Nebel vor Sonnenaufgang; betaute Frucht vor dem Gepflücktwerden; Herz in der Knospe.
    Dazwischen tauchte einmal der Doktor in der Küche auf, gespensterte herein mit seinen überwachten Augen, bedrückend, schlecht gelaunt, Depression und Vorwurf: »Warum sind keine Spateln hergerichtet? Wo sind Spateln? Im Wandschrank sind auch keine! Das ist doch wohl das wenigste, daß für die Praxis alles in Ordnung ist. Wenn ich nicht einmal Spateln habe –«
    Elisabeth stürzt ins Sprechzimmer, die Spateln sind im Wandschrank, Rehle hat sie rechts hingelegt statt links. »Bitte, da sind die Spateln, Kola, sei nicht böse, Kola« – aber Kola ist nur ein schwerer, unfreundlicher Schatten zwischen seinen dunstigen Patienten.
    Kurz vor zwölf Uhr fand im Wohnzimmer ein merkwürdiges Gespräch zwischen Elisabeth und Peter Karbon statt.
    »Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, Elisabeth, und jeder ginge in Erfüllung; was würden Sie wünschen?«
    »Achthundertzwanzig Mark«, sagte sie ohne Besinnen. Es war die Summe, die sie in ihrem kleinen Wirtschaftsbuch hundertmal herausgerechnet hatte: die Schulden bei Markus, die Schulden für Kohlen, Fleisch und Butter, drei Raten für den Pantostat, ein Bluttransfusionsapparat, Stiefel für das Rehle, vier Bettbezüge, zwölf Glasteller, den Klavierstimmer, einen Wintermantel. Achthundertzwanzig Mark.
    Peter zuckte ein wenig mit den Händen, als wäre jemand sogleich aus dem Wasser zu ziehen, legte sie dann aber wieder vor sich hin auf die Tischplatte.
    ›Ich kann doch nicht die schauerliche Geschmacklosigkeit begehen und ihr jetzt einen Scheck ausschreiben‹, dachte er. ›Ich kann darauf auch gar nichts sagen. Herrgott, und da sitzt sie und sorgt sich –‹
    »Das ist kein Wunsch«, sagte er schließlich. »Ich bin Ihrem Mann mindestens viermal so viel schuldig. Weiter. Drei richtige Wünsche.«
    Elisabeth schaute ihn aufmerksam an; sie hatte diese Antwort, diese Aussicht, diese

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