Zwischenfall in Lohwinckel
Argument, das in keinem Verhältnis zu dem flehenden Ausdruck ihrer Augen stand – von dem sie übrigens selbst nichts wußte. Karbon hörte sogleich zu packen auf und kam über die schrägen Dielen zu ihr gewandert. Bei Tag besehen war dieses Schlafzimmer einfach scheußlich. Die ererbten Betten des verstorbenen Onkels Burhenne, die dunkle, drückende Balkendecke, der Waschtisch mit dem Wandschoner und der marmorierten Wachstuchplatte, das alles preßte ein wenig den Atem zusammen.
»Sie wissen ja selber, warum ich ausziehe. Finden Sie es nicht richtig?«
»Nein«, sagte Elisabeth, aber Ja dachte sie. »Wir wollen uns doch nichts vorschwindeln«, erwiderte darauf Karbon rasch. »Erstens paßt es mir nicht, von Ihnen bedient zu werden, gar nicht. Ich schaue mir diese Quälerei nicht länger an, das ist sicher, ich nicht. Und dann stehen wir beide so, daß ich nicht mehr im Haus Ihres Mannes wohnen möchte. Ich schätze Ihren Mann sehr –«, setzte er mit einer kleinen ritterlichen Verbeugung hinzu. An Elisabeth zischten diese Sätze vorbei wie Klingen, das Herz blieb ihr stehen.
»Wir beide – das ist ja Unsinn«, stammelte sie schwach. Karbon stand mit dem Gesicht zur Tür, ihr abgewandt. »Man kann da nicht viel darüber reden, Elisabeth«, sagte er. »Uns fehlen heutzutage ein paar Vokabeln. Ich kann nicht hier anrücken mit ›Ich liebe dich‹ und ›Liebst du mich?‹ Aber wir wissen ja beide, was los ist. Du weißt, daß ich dich nicht hierlassen werde. Und ich weiß, daß du mit mir gehen wirst. Was noch?«
»Das ist ja nicht wahr – das ist ja nicht wahr«, flüsterte Elisabeth, »das ist ja nicht wahr.«
Erdbeben, Einsturz, Explosion. Karbon kam schnell von der Tür her zu ihr an den Bettrand. Er wünschte mit rasender Heftigkeit, sie zu küssen, sie so zu küssen, daß sie neu wurde, sie aus sich selber herauszuschälen zu ihrer eigentlichen Form. Sie kam ihm verkleidet vor, seit er sie zum erstenmal mit Bewußtsein erblickt hatte, ihre Hand auf seinem Herzen, adelig und in ihrer Aschenbrödelschürze. Das alles hatte keine Worte und keine Gestalt, während er sie schon in die Arme nahm, ihren bittenden Mund unter dem seinen, eine steil in den Himmel jagende Rakete von Gefühl. Ihr wieder war es, als hätte sie ihr ganzes Leben nur auf dies gewartet, auf dieses Hinuntersinken und Übersiehergebreitetsein und Insieeindringen wie aus tiefgeträumten Träumen.
»… so wahr ist das – so wahr …« sagte er atemlos, als er sie aus dem Kuß entließ. Sie ging mit blinden Augen zum Fenster. Peter Karbon, rückwärts im Zimmer, streckt das Kinn aufwärts, klopft auf seine Rippen, frißt sich tief voll Luft. Er hat ein Gefühl, als wenn seine nächste Zukunft bunt und leicht vor ihm aufschwebte wie ein Bündel von Luftballons. Er nimmt verständig seine Schuhe in den Seidenfutteralen, seine zusammenlegbaren Reise-Kleiderbügel und packt weiter.
»Und wie soll es mit uns beiden weitergehen, Elisabeth?« fragt er die Frau am Fenster.
»Weitergehen? Gar nicht. Sie werden abreisen – und ich werde hierbleiben.«
»Ich denke nicht daran«, sagt Peter und kommt schon wieder näher mit seiner brennenden, vibrierenden Nähe.
Gerade wie er mit seiner Schläfe bei ihrer Schulter angelangt ist, klopft es. Lungaus erscheint, Lungaus, verkatert, mit schlechtem Gewissen, aber störrisch, wenig gewaschen und in Kolas Hosen-Gespenstern.
»Ich wollte nicht stören, Mutter«, sagt er gewandt. »Ich wollte bloß nach das Frühstück fragen.«
»Im Ofenrohr steht noch Kaffee«, sagt Elisabeth, ohne hinzusehen.
»Kaffee ist nicht in die Diät drin. Wegen Vermeidung von Gifte.«
»Dann warten Sie bis Mittag. Ich habe nichts für Sie gerichtet, Lungaus.«
Über dieses erstarrt Lungaus unter der Tür. »Ich muß doch essen«, sagt er weinerlich. »Ich fühle mir ohnedies nicht.«
Elisabeth versucht ihre Hände zur Ruhe zu bekommen oder ihre Lippen oder ihre Stimme, aber alles zittert noch.
»In der Speisekammer liegt Wurst. Machen Sie sich ein Brot«, sagt sie angestrengt.
»Wurst? Ich? Wurst?« fragt Lungaus und schlappt ins Zimmer herein voll erschrockenem Staunen. Plötzlich hat Elisabeth genug von ihm, genug von allem, genug von den drei Jahren Sorgfalt für Lungaus und Martyrium für die Idee. Sie dreht sich scharf um. »Wenn Sie sich vollsaufen können, dann können Sie auch Wurst essen!« schreit sie, sie hat blasse Lippen, blasse Nägel, sogar die Iris ihrer Augen ist hell geworden vor Erregung.
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