Zwischenfall in Lohwinckel
vorbeischritt, den säuerlich gärenden Geruch einatmete wie etwas, das Erleichterung bringen konnte, und dabei die linke Hand in die kühle Taunässe der Rosenblätter hängen ließ. Sie hatte die Gewohnheit, halblaut mit sich selbst zu sprechen, wie übermäßig einsame Menschen es tun.
Wirklich lag Leore Lania mit geschlossenen Augen im Bett, als das Fräulein vorsichtig eintrat und die Blumen hinschüttete, feucht und lose, wie sie waren. Sie schlief aber nicht, trotz Veronal, sondern stellte sich nur so. Sie hatte die unverletzte Seite ihres Gesichtes in den Ellenbogen geschmiegt, und die andere, die noch immer leise brannte und zerrte, lag frei. Die Wunde war mit einem schmalen Streifen Verbandstoff zugeklebt. Der Mundwinkel war nach unten gezogen mit einem Ausdruck von Schmerzlichkeit, der das Fräulein heftig bewegte. Eine Weile stand sie da und schaute die Schauspielerin an. Die Lania spürte den Blick auf sich, spielte aber weiter Schlafen und bemühte sich, die Lider unbeweglich zu halten wie bei einer Aufnahme. Schließlich schlich das Fräulein vom Bett fort, Leore machte sofort hinter ihrem Rücken die Augen zu einem Spalt auf und beobachtete sie. Das Fräulein hatte die Stiefel abgetan, wahrscheinlich eigens für diesen Morgenbesuch, und wanderte in braunen Strümpfen bis zur Tür, dort blieb sie stehen und drehte sich wieder um. Sie hob beide Hände mit einer sonderbar leidenschaftlichen Gebärde vor ihren Mund und flüsterte sich selber zu: »Mein Gott. Mein Gott –« Es klang dringend wie ein Hilferuf. Die Lania verdrückte ein verschmitztes Gefühl in sich. Das Fräulein indessen hatte jetzt ihren Anzug ins Auge gefaßt, einen schwarzen, warmen Trainingsanzug, in dem die Lania ihre Rekonvaleszenz verbrachte, und starrte nun mit verlorenen Blicken dieses Häufchen seidenglänzender Wolle an. Der Anzug lag auf dem Boden, denn die Lania war nicht gewöhnt, irgendein Ding an seinen richtigen Platz zu bringen. Fräulein von Raitzold hob ihn auf, stand noch eine Sekunde so und preßte dann mit einem sonderbar huschenden Ausdruck von Entschlossenheit ihre Stirne in das schwarze Stück Stoff in ihren Händen. Die Lania entschloß sich, aufzuwachen. Sie tat es, innerlich amüsiert und mit kleinen, vorbereitenden Tönen, die dem Fräulein Zeit gaben, den Anzug wieder auf den Boden fallen zu lassen.
»Guten Morgen«, sagte Leore und drehte sogleich die gesunde Seite ihres Gesichtes ins Licht. Seit dem Augenblick der Verletzung trainierte sie schon daran, die verletzte Seite zu verbergen.
»Guten Morgen. Haben Sie gut geschlafen?«
»Danke. Herrlich geschlafen.«
»Ohne Schlafpulver?«
»Ja. Ohne«, sagte die Lania. Sie war immer umschwirrt von einem Gewirbel solch kleiner Lügen ohne Sinn und Grund. Es war wie eine verrankte Schutzhecke, hinter der sich ihre zarte, gefährdete wirkliche Person versteckte. Das Fräulein blieb am andern Ende des Zimmers stehen und schaute zu der Schauspielerin hinüber, wie man von einer Insel zur aridem schaut.
»Die wunderbaren Blumen. Für mich?«
»Sie sind nicht mehr schön genug für den Verkauf –«, erwiderte das Fräulein unfreundlich. »Wollen Sie baden?«
»Wenn es keine Umstände macht –«
Zwar machte es Umstände. Auf diesem verfallenden Besitz machte alles und jedes Umstände, die Klingeln gingen nicht, die Schornsteine waren baufällig und feuergefährlich, und den elektrischen Strom für die Pumpe hatte man wegen zu hoher Kosten abgestellt, den alten Brunnen im Hof wieder in Gebrauch nehmend. Aber Fräulein von Raitzold sockte sogleich auf ihren Strümpfen davon, zog draußen vor der Tür ihre Stiefel wieder an und fuhrwerkte mit solchem Feuer in die Küche hinüber, daß die Lania eine halbe Stunde später schon ihren Tub mit heißem Wasser und ihr Frühstück bekam. Fräulein von Raitzold selber deckte den Tisch auf der kleinen Veranda, stellte Honig hin und die Butter, die mit Wassertropfen besprengt aus dem alten Holzmodel kam, das Gutszeichen und Wappen der Raitzolds in ihre sahnige Weiße gepreßt.
»Fein«, sagte Leore und rieb ihre Nase an einer herabpendelnden roten Weinranke. »Ich muß hier immer an meine Kindheit denken. Mein Großvater hatte auch ein Gut, pensionierter General, drolliger alter Herr.«
Kein Wort davon war wahr. Die Lania spielte nur ein bißchen mit sich selber: Morgen auf dem Gut. Unten trug eine Katze ihr Junges im Maul über den Hof, die spielte mit. Das Fräulein, das ein wenig gelächelt hatte, zog plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher