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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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unversehens erblickte, daß es diese Sorte unwahrscheinlicher Menschen in Wirklichkeit gab. »Der dritte Wunsch«, sagte er.
    »Habe ich denn noch einen frei?« fragte sie so ernsthaft besorgt, als wenn dieser Peter Karbon der Zauberer aus dem Märchen wäre, mit allen Wundern und Erfüllungen in der Tasche. »Ist ja Unsinn«, sagte sie sofort danach und stand auf. »Ich muß in die Küche – mein Gemüse –« Sie hatte ihre Augen gerade vor seinem Mund, wie sie vor ihm stand. Es war eine Deutlichkeit in der Zeichnung seiner Lippen wie unter dem Mikroskop, und das schmerzte ganz dünn in der Herzgrube.
    »Sie sind die erste Frau, die in der Größe zu mir paßt«, sagte er, es ließ eine Perspektive auf einen langen Zug von Frauen in ihr erstehen. »Wir werden herrlich zusammen tanzen. Tanzen Sie gern?«
    »Leidenschaftlich.«
    »Oft?«
    »Niemals.«
    Daß er ›wir‹ sagte –, ›wir werden‹ – hatte wieder das Blut in ihrem Nacken hochgetrieben, es war etwas darin wie Verheißung oder Drohung, etwas Andrängendes. Sie begab sich auf die Flucht.
    »Halt«, rief Karbon hinterher. »Der dritte Wunsch!« Sie stand an der Tür von Rehles Kammer still, drinnen frühstückte ein friedlicher Teddybär mit zwei schwerkranken Puppen, und das Rehle malte Ziffern in ein altes, vollgeschriebenes Haushaltsbuch. »Stör mich nicht, ich muß rechnen«, sagte es in dem gepreßten Ton, den es hundertmal von seiner Mutter gehört hatte. Peter hielt Elisabeth am Ellenbogen fest, sie hatte eine glatte, kühle, mit vielen Pulsen klopfende Haut. »Also?« fragte er.
    »Das ist nicht so leicht – es wäre – es müßte alles anders werden«, sagte sie.
    »Was, anders?«
    »Alles eben.«
    »Wie, anders?«
    »Anders. Ganz anders. Ich weiß nicht wie. Aber anders.«
    »Gut«, sagte darauf Peter Karbon, als hätte er einen Auftrag erhalten, und ließ sie los. Sie verschwand sogleich im Dunkel der steilen Holztreppe. ›Es ist ja schon alles anders‹, dachte sie aufgestört bis ins Innerste. Karbon rief ihr noch etwas nach. »Ich packe jetzt« , rief er oben am Treppenabsatz stehend, mit ein wenig Helle um Kopf und Schultern. »Ich ziehe aus. Ich möchte nicht mehr bei Ihnen wohnen.«
    »Warum denn – um Gottes willen?« fragte Elisabeth, angenagelt auf der vierten Stufe.
    »Weil – das kann ich hier nicht hinunterbrüllen. Ich erkläre es Ihnen heute nachmittag. Wir gehen zusammen spazieren.«
    »Dazu habe ich keine Zeit.«
    »Doch«, rief Peter einfach und verschwand. Elisabeth fand in der Küche einen übergekochten Spinat und ein erlöschendes Herdfeuer. Sie stürzte sich in die Arbeit wie in eine Rettungsaktion für ihre taumelnd gewordene Seele. Sie wäre gern für zehn Minuten in die Kirche gelaufen, aber sie kam nicht dazu. Sie plättete schnell zwischendurch ein paar Wäschestücke aus, und nachher kam der Doktor und holte sie. Die Diele war gestopft voll, obwohl es schon gegen Mittag ging, und die murmelnde Unruhe von Lohwinckel schlug mit undefinierbaren Wellen bis ins Angermannshaus. Im Sprechzimmer war einem widerspenstigen und zu Tode geängstigten Kind ein Panaritium zu schneiden. Elisabeth nahm den kleinen strampelnden Menschen, dieses Bündelchen Herzklopfen, auf den Schoß und hielt seine Arme fest. »Höher«, kommandierte der Doktor. »Mehr zum Licht. Fester. Du zuckst ja selber. Wenn du nicht ruhig halten kannst –« Elisabeth spannte sich, sie atmete vorsichtig den Geruch ein, der aus seinem Kittel aufstieg: Jod und sehr viele billige Zigarren. Eiter quoll aus dem geöffneten Geschwür, ihr wurde wolkig und ein wenig ungut. Sie erschrak davor, wie zuwider ihr plötzlich Kolas Klinikgeruch geworden war. Hinterher begann das Kind fassungslos zu weinen, das nasse Gesicht an ihren Hals gelegt.
    »Raus«, sagte der Doktor. »Der Nächste.«
    Für Elisabeth brachten die fremden kleinen Arme um ihre Schultern ein wenig Erleichterung. Rehle weinte nie und umarmte nie und brauchte niemals Trost, sie hielt ihr festes kleines Herz in glatten Muschelschalen verschlossen. ›Was habe ich nur?‹ dachte sie, während sie das Kind seinem Vater übergab, ›es ist doch alles gut, es ist doch alles in Ordnung?‹
    »Hier ist noch ein bißchen Wäsche von Ihnen«, sagte sie eine Viertelstunde später, ins Schlafzimmer eintretend, wo Karbon seinen Koffer packte. »Aber warum wollen Sie plötzlich weg? Bei uns – wir haben wenigstens Badezimmer, das kriegen Sie sonst in ganz Lohwinckel nicht.«
    Es war ein armseliges

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