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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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genauer umschriebene Summe erst eine geraume Weile in sich zu verarbeiten. Sorgen sind die hartnäckigste Gewohnheit der Welt. Der arme Mann, der den Haupttreffer macht, wird noch monatelang aus dem Schlaf gestoßen werden von der Angst um Brot und Dach. Elisabeth konnte sich ausreichend Geld nicht vorstellen, und dann lag da auf dem Grund der Erleichterung eine wunderliche und verteufelte kleine Bitternis. Herr Karbon ist ein reicher Mann. Herr Karbon bezahlt und zieht seiner Wege. Wir bleiben in Lohwinckel sitzen. Was gehen wir Herrn Karbon an?
    ›Wie sie atmet!‹ dachte Peter entzückt. Nun, Frau Doktor Persenthein atmete wie jeder Mensch, natürlich tat sie das. Es gehörte die närrische Freude der Verliebtheit dazu, daran etwas Besonderes zu finden. Die Oberlippe ihres sonst fest geschlossenen Mundes hatte sich aufwärts geschoben, das gab ihr einen staunenden und gelösten Ausdruck, ihre Kehle bewegte sich leise, dazu krabbelten fünfhundert Marienkäferchen über die blaue Schürze.
    »Weiter. Drei richtige Wünsche«, forderte Peter. Diesmal dachte sie lange nach, es kamen immer falsche Dinge dazwischen, die sie von der Hauptsache abtrieben, nochmals die Bettbezüge, neue Nähmaschine, Radioapparat, einmal die Sache mit dem Badeofen gründlich reparieren – aber sie bohrte sich durch bis zur Hauptsache.
    »Ich möchte wieder so sein wie früher –«, sagte sie schließlich, ihre Schulterblätter, die schon wieder müde waren, sanken ein wenig vor dabei.
    »Wie waren Sie denn früher?« fragte Peter lächelnd. Sie begann gleichfalls zu lächeln. »Ich weiß nicht. Lustig. So – bißchen dumm und leichtsinnig, aber sehr lustig. Ich bin doch zwischen lauter Jungen aufgewachsen, mein Vater wollte, ich sollte studieren. Na, dazu habe ich nicht gepaßt. Aber mit den Buben jeden Streich ausgefressen. Hätten sie mir gesagt, ich soll auf den Kirchturm klettern, ich wäre raufgeklettert. Dann war ich ein halbes Jahr in München. Mein Gott, wenn ich noch mal so sein könnte, wie ich in München war –«
    »Ja? Und wann sind Sie denn anders geworden?«
    »Wie ich geheiratet habe, natürlich«, sagte sie rasch. Gleich darauf tat es ihr leid. »Ich bin sehr glücklich verheiratet«, setzte sie hinzu, mit eigensinniger Miene, und nachher sah sie ihre Hände an. Auch Peter Karbon schaute in die aufgefalteten Handmuscheln. Sie hatte seit zwei Tagen begonnen, ihren Fingern mit Cold-Cream und Nagelpolitur zu Leibe zu rücken. Trotzdem war es während der nächsten zehn Sekunden und während sie beide auf die verarbeiteten, langen, schmalen Hände schauten, als wenn da alle Mühsal und Enttäuschung ihres Lebens in den Rissen der Haut zu sehen wären. ›Spinat‹, dachte Peter wütend. ›Stiefelwichse, Kohlenstaub! Was für Blödsinn!‹
    »Schön. Zweitens.«
    »Zweitens – ich dachte immer, ich möchte mal nach Neapel kommen –«
    »Herr, du meine Güte! Warum denn gerade nach Neapel?«
    »Ist es nicht schön da?«
    »Natürlich ist es schön da. Es ist bloß keine Reise, es ist zu nah. Ich will Ihnen etwas sagen, Elisabeth: Schön ist es überall auf der Welt, wahrhaftig, ich habe noch keinen Meter Erde gesehen, der mir nicht gefallen hätte, das kann ich sagen. Aber Reisen, wissen Sie, das ist etwas anderes. Die Unruhe, verstehen Sie das, dieses Fortgerissenwerden, das Bewegtsein – nachts wachen Sie auf, Sie spüren die Räder, die Achsen, Sie sind im Transsibirien-Zug, hallo, zwei Tage von Omsk bis Irkutsk, oder drüben im Pazifik oder auf einem Schiff, Sie stehen auf und gehen ans Heck, so um drei Uhr morgens, das rauscht so um den Bug, und Sie spüren die Schiffsschraube und daß es immer vorwärtsgeht, wo Sie gerade noch waren, sind Sie nicht mehr, das ist manchmal so stark, daß man schreien möchte vor Vergnügen – warum gerade Neapel?«
    »Ach – ich weiß nicht. Wir hatten da so ein Bild zu Hause von Neapel, das habe ich als Kind immer angesehen vor dem Einschlafen. Deshalb vielleicht.«
    »Sie müssen nicht so bescheiden wünschen: Neapel. Wünschen Sie mal – sagen wir: Indien.«
    »Gut. Indien«, sagte sie lächelnd wie zu einem kleinen Kind. ›Du wirst dich noch wundern‹, dachte Karbon dazu. Elisabeth sah ihn an, unbekannter Mann mit seinem roten Schopf, es war, als hätte er alle Fenster im Angermannshaus aufgerissen, es wehte eine scharfe Luft. Fremde, Welt und Abenteuer. So wie er sah kein Mensch aus in ganz Lohwinckel, alles saß locker auf ihm, Elisabeth staunte, so oft sie ihn

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