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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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Karbon beginnt zu lachen, unaufhaltsam, hinter dem Deckel seines Koffers. Lungaus nickt bedeutsam mit dem Kopf.
    »Ich sage ja nur, was wird der Herr Doktor dazu sagen. Und Wurst?« bemerkt er.
    »Der Doktor braucht es nicht zu wissen«, sagte Elisabeth und wendet sich wieder dem Fenster zu. Lungaus schaut sie an, schaut Herrn Karbon an, schaut wieder die Frau an.
    »Ach so, Mutter, der Doktor braucht es nicht zu wissen? Ach so. Von mir – ich sage nischt«, sagt er noch und zieht sich zurück.
    Ein bißchen Mörtel rieselt, als die Tür zufällt. Der heilige Georg, steife Holzfigur mit großem Kopf, bohrt seine Lanze einem unbeholfenen Drachen in die Delphinschnauze. Die Anarchie im Angermannshaus hat begonnen.

Als Leore Lania diese Erholungstour angetreten hatte, war es unter anderm ihre Absicht gewesen, sich die Schlafmittel ein wenig abzugewöhnen. Aber nun, da sie mit Schmerzen in. der dumpfen, kühlen Gaststube des Gutes lag, den Kopf erfüllt mit einem Schmeißfliegengesumm von Sorgen, konnte davon nicht die Rede sein. Sie schickte ein paar Nachrichten in die Welt, an ein paar Menschen, die ihr ergeben waren, aber sie hielt zu wenig von menschlicher Gemeinschaft, um davon Hilfe zu erwarten.
    ›Doktor Marta Stein, Neubabelsberg‹, telegrafierte sie zum Beispiel. ›Nicht erschrecken Liebling ich lebe noch stop sende Zeitungsausschnitte über Unfall per Adresse von Raitzold Lohwinckel stop Küsse vom armen Lolein.‹
    Und dann kamen Dienstag auch ein paar Zeitungen, die von schrecklichen Verwundungen ihres Gesichtes berichteten. Inzwischen jagte sie einen Brief hinaus an Herrn Erich von Mollzahn, Kiel-Holtenau, Seeflugstation:
    ,Lieber, ich liege in meinem Himmelbettchen und bete zu Gott, daß mein Brief Dich antrifft und daß Du nicht mit Deinem Vogel Gott weiß auf welchem Schiffsdeck sitzt oder von irgendeinem Katapult in irgendeinen Ozean abgeschossen wirst, wo kein Bibi-Hilfsschrei zu Dir dringt. Es geht mir natürlich schlecht, sonst würde ich nicht zu Dir kommen. Du weißt ja, daß Du der einzige bist, wenn es mir schlecht geht. Hast Du's in der Zeitung gelesen? Sie werden ja wohl Lärm genug machen mit Tatarennachrichten über das Unglück. Nun höre zu: Du mußt mir einen Arzt verschaffen, den besten Mann für Gesichts-Chirurgie, den Du auftreiben kannst. Ich bin hier einem Mann in die Hände gefallen, zu dem ich nicht das geringste Zutrauen habe, er hat riesige Hände, und wo er hingreift, tut es weh und wächst kein Gras mehr. Die Leute, bei denen ich untergebracht bin, halten auch nichts von ihm, er hat auch gerade einen ihrer Knechte zu Tod operiert. Nun, Bibi lebt vorläufig wenigstens noch, aber, wie Du Bibi kennst, lebt sie nur, so lang es ihr paßt und ganz bestimmt nicht mit verpatzter Fresse. Ach, lieber Erich, wärst Du doch nur eine Stunde bei mir, so breit und vernünftig und mit so warmen Händen. Karbon, mit dem ich diese verdammte Tour gemacht habe, ist ganz nett, aber selber verletzt, und wie egoistisch jeder einzelne bei so einem Unfall wird, das glaubst Du nicht. Plötzlich merkt man, mit wie fremden Kerlen man in der Welt herumzieht. Bibi hat einen Moralischen, merkst Du was? Bibi wird mit einem kleinen Glasröhrchen und flüssiger Nahrung gefüttert und hat das halbe Gesicht mit einer Sache verkleistert, die dieses Ekel von Doktor ›ein Girlandchen‹ nennt. So was mag Bibi gar nicht. Man lebt hier drei Stunden hinter den Brettern, mit denen die Welt vernagelt ist, auf einem melancholischen Gutshof, kurz vor der Pleite, ›Untergang des Hauses Usher‹. Du erinnerst Dich? Vor den Fenstern sind Pfützen, Wolken, Abreiseschwalben. Mein Bett hat Vorhänge, die muffeln so komisch. Im Zimmer ist es kalt, sie heizen mit nassem Fichtenholz und jammern über ihren ausgeholzten Wald und über die Steuern und über einen Weinberg, den sie verpfändet haben. In vier Tagen will der Doktor die Fäden herausnehmen, dann wird man weiter sehen. Komischer Gedanke, daß ich nun gerade in einem Ort namens Lohwinckel den alten Revolver gebrauchen sollte, mit dem Du mir das Scheibenschießen beigebracht hast. Ich möchte nicht hier begraben sein. Kümmere Dich um mich, schick mir einen Arzt, der was kann und mir die Wahrheit sagt, hol mich hier fort, Freund, Freund, guter Freund! Von Pertöffy bin ich endlich geschieden, weißt Du das? Es ging aber nicht so einfach wie bei uns, und er ist böse auf mich.‹
    Sie rechnete aus, wann dieser Brief abreisen, ankommen, Hilfe bringen könne; es kamen

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