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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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er böse ist? Selbst die Bösen halten sich für gut. Das ist die Voraussetzung aller Kriege. Wenn ich ein Versäumnis in meinem Leben bedaure, dann ist es, dass mir der Krieg nicht vergönnt war. Im Krieg erwacht auch im biedersten Bürger das Viech, da reißt die dünne Menschenhaut und der Werwolf wird geboren. Aber sogar wer mordet, vergewaltigt und raubt, will noch gut sein, ein Guter, der das Böse bekämpft, den bösen Anderen und seinen bösen Gott, für den eigenen guten Gott oder für die große, heilige Idee, für etwas, das sein böses Tun verkehrt ins Heldenhafte. Aber ich sage: Ich bin böse, böse geboren oder böse geworden, egal warum, ich bin böse. Darum sind Sie geblieben, nicht weil ich Sie gezwungen hätte, sondern weil Sie sich in mir erkennen, weil Ihr eigenes geknebeltes und gefesseltes Böse sich verbünden will mit mir. Oder wollen Sie etwa behaupten, in Ihnen hätten noch nie Mordgedanken getobt?
    In seinen Mundwinkeln hatten sich kleine weiße Speichelblasen gesammelt. Gespreizt und triumphierend stand er vor mir und sah mich jetzt mit beiden Augen an. Der böse Blick, das gibt es also, dachte ich, als mich jemand fest bei der Hand nahm und sagte: Nun komm hier endlich weg.
    Nicki winselte vor Freude. Ich fiel Olga um den Hals. Olga, stöhnte ich, endlich. Was war das?
    Das Böse, sagte Olga, ein böser Mensch.
    Sie lief schnell und zog mich hinter sich her. Ich sah mich um, aber der Mann war verschwunden, und ich tauchte langsam auf wie aus einem kalten, dunklen Traum, in dem sich der Park, der Blütenschaum auf dem dichten Grün, der Frühlingsduft, die zärtlichen Sonnenstrahlen auf der Haut in ödes Nichts verwandelt hatten.
    Warum war er hier? Was wollte er von mir? Was hat er mit diesem Tag zu tun? Olga?
    Das kannst nur du wissen, sagte Olga.
    Ich beugte mich zu dem Hund, nahm seinen Kopf in beide Hände und küsste ihn auf die rosafarbene Nase: Sogar dich hatte ich ganz vergessen, sagte ich. In der Hoffnung, mein plötzlicher Gefühlsausbruch würde sich materialisieren, steckte Nicki seine Schnauze in meine Tasche, in der er wohl immer noch Wurstreserven vermutete. Ich zündete mir eine Zigarette an, wir setzten uns auf eine abseits gelegene, von einer Hecke eingehegte Bank. Olga sah mich mit sorgenvoll gehobenen Brauen an, schüttelte den Kopf und sagte: Du guckst wie damals, als ich dich zum ersten Mal besucht habe, nachdem du Bernhard verlassen hattest.
    Und wie?
    Schuldbewusst, unsicher.
    Und wenn er recht hat? Wenn es stimmt, dass das Böse in mir fasziniert war von ihm?
    Trotzdem willst du niemanden töten.
    Ich wollte den Sekretär töten.
    Hast du aber nicht.
    Weil ich kein Pferdeschwanzhaar auftreiben konnte.
    Sei nicht albern, sagte Olga streng, außerdem warst du ein Kind. Böse Gedanken hat jeder Mensch. Als ich von Hermanns zweiter Familie erfuhr, habe ich gewünscht, die Frau würde unter eine Straßenbahn oder ein Auto geraten. Wir hätten die Mädchen aufgenommen, und alles hätte wieder gut werden können. Ich habe im Bett gesessen und gebetet: Lass sie sterben, lieber Gott. Stell dir das vor, Gott zum Mordkomplizen machen wollen, das ist böse.
    Wochenlang, erzählte Olga, habe sie Angst gehabt, ihre unfromme Bitte würde erhört, was ihr zwar als endgültiger Gottesbeweis hätte gelten müssen, sie andererseits aber vor die Frage gestellt hätte, was das für ein Gott sein soll, der so teuflische Wünsche erfüllt.
    Aber es geschah nichts. Hermann behielt die zweite Frau, schon wegen der beiden Mädchen, und Olga blieb bei Hermann, nicht nur wegen der beiden Söhne. Kurz nachdem Olga von Gott den Tod seiner Geliebten erbeten hatte, verschuldete Hermann einen kleinen Autounfall, bei dem aber, abgesehen von einigen Beulen an beiden beteiligten Autos, niemand zu Schaden kam. An einen Zusammenhang zwischen dem Unfall und ihrem Gebet glaubte Olga nicht.
    Hast du auch eine Zigarette für mich, fragte sie.
    Ich hatte sie in ihrem Leben nie rauchend gesehen und dachte, dass dieser plötzliche Einfall eine Geste für mich sein sollte. Ich zündete die Zigarette für sie an, Olga sog vorsichtig den Rauch ein, saß eine Weile ganz still, als erwarte sie etwas, und sagte: Seltsam, früher musste ich immer husten, wenn ich es versucht habe.
    Es war schön, so beieinander zu sitzen, und zum ersten Mal, seit Olga gestorben war, breitete sich das, was mir in Zukunft fehlen würde, als ein sanfter Schmerz in mir aus. Olga in der cremefarbenen Bluse und der Strickjacke, mit den

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