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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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schlimmer als Langeweile? Vielleicht plagt ja auch die Gnädigste nur die Langeweile an sich selbst, und sie bohrt darum so hartnäckig nach dem Bösen in sich. Nur zu, die Kenntnis der eigenen Abgründe fördert das Weltverständnis. Außerdem könnten Sie am Ende wenigstens sicher sein, dass Sie Ihre Harmlosigkeit nicht nur einem Mangel an Phantasie, sondern tatsächlich dem zivilisatorischen Dressurakt verdanken. Wie oft habe ich davon geträumt, meinem Busenfreund Hendrik den Dolch in sein verräterisches Herz zu stoßen, und kann mich nun rühmen, es nicht getan zu haben. Darin, meine Damen, liegt die gehobene Dialektik der Moral. Einen Mord zu planen, um ihn dann nicht auszuführen, zeugt von höherer Moral, als aus Angst oder Schwäche gar nicht erst an einen Mord zu denken.
    Sichtlich zufrieden mit seiner rhetorischen Leistung, setzte Bruno sich auf den Weg zu unseren Füßen, nahm einen Schluck aus der Bierflasche, streichelte Nicki und nannte ihn dabei ein ahnungsloses Blauauge.
    Ich überlegte, ob mein Leben tatsächlich aufregender gewesen wäre, wenn ich die Hälfte meiner Zeit damit verbracht hätte, mir Morde auszumalen, um sie dann nicht zu begehen, und ob meine Anfälligkeit für Kriminalfilme auch minderer Qualität, die ich immerhin mit vielen Menschen teilte, nicht nur eine bequeme Variante der brunoschen Lebensmaxime war, die zudem neben der Aggressionsabfuhr auch gleich die Warnung vor der Tat enthielt, da der Mörder in jedem Fall zur Strecke gebracht wurde. Allerdings bot diese passive Form schuldfreier Mordteilhabe nicht den Genuss der moralischen Selbsterhöhung, den ein Verzicht auf die persönliche, sorgsam geplante Abrechnung versprach. So weit konnte ich Bruno folgen, ohne daraus Schlussfolgerungen für meinen künftigen Umgang mit dem Problem zu ziehen, zumal ich es auch für möglich hielt, dass meine Vorliebe für TV -Kriminalserien gar nicht den Grausamkeiten galt, sondern dem wie im Märchen vorhersehbaren und beruhigenden Sieg des Guten über das Böse.
    Bruno gähnte genüsslich mit weit aufgerissenem Mund, so dass ich das zitternde Zäpfchen in seinem Rachen sehen konnte.
    Sie enttäuschen mich, sagte er gelangweilt, wenigstens einen kleinen geistvollen Einspruch hätten Sie mir gönnen können, wenn schon keinen gewagten philosophischen Disput. Aber nichts? Gar nichts?
    Zu meiner Überraschung erklärte Olga, sie halte Brunos These für sehr anregend und theoretisch auch richtig. Der Mensch befinde sich im ständigen Gespräch mit Gott oder, wenn er an den nicht glaube, mit seinem Gewissen, und so sei es sicher nicht falsch, wenn er sich derartigen Prüfungen aussetze. Was aber, sagte Olga, wenn er die Prüfung nicht besteht? Wenn er aus der bösen Phantasie den Weg nicht findet, sie zu überwinden? Was dann?
    Dann ruft man die Polizei, sagte Bruno in einem Ton, als hätte er Olga empfohlen, bei Gewitter besser die Fenster zu schließen.
    Wie eine Bestätigung für Olgas warnendes Bedenken und Brunos Ruf nach der Polizei war aus dem hinteren Teil des Parks ein wilder, tierhafter und doch deutlich von einem Menschen ausgestoßener Schrei zu hören, der Nicki unter wütendem, vielleicht auch ängstlichem Gebell sofort auf seine vier Beine riss. Auf den Schrei folgte ein rasendes, tausendstimmiges Gejohle, das sich in allgemeinem Tumult auflöste.
    War das Freude oder Wut?, fragte ich, und Bruno sagte, wie man wisse, löse unter Umständen auch die öffentliche Enthauptung eines Menschen massenhaftes Freudengeheul aus, so dass Wut und Freude keine einander ausschließenden Empfindungen darstellten.
     
    Ohne uns weiter zu verständigen, bewegten wir uns langsam in Richtung des Gelärmes, Bruno voran, Nicki mit angelegten Ohren hinter Olga und mir. Wir waren vielleicht hundert Meter gegangen, als sich vor uns eine ungeahnt große Lichtung auftat, nur von einzelnen, riesigen Bäumen bewachsen, unter denen eine ungebärdige Menschenmenge umhersprang und tanzte, andere hockten oder knieten am Rande, klatschten rhythmisch in die Hände und feuerten die Tanzenden an. Ein blauer Abendhimmel, von einer einzigen, riesigen, weißen Wolke erhellt, hing über dem Feld und überzog das zügellose Treiben mit gigantischer Schönheit. Ich kannte das Bild, genau dieses Bild, diesen Himmel, diese Bäume, die beiden weißen, tanzenden Gestalten im Vordergrund, dahinter der düstere Kapuzenmann mit der Totenmaske, und über allem wehte wie ein Menetekel ein schwarzes Banner, von dem mit aufgerissenem

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