Zwischenstation Gegenwart (German Edition)
näherte. Wollte er mich etwa küssen? Überrascht hielt er inne und sah mich prüfend an.
»Was ist los mit dir?«, fragte er mit verblüfftem Gesichtsausdruck, machte aber keinerlei Anstalten sich von mir zurückzuziehen. Dabei fiel mir auf, dass er richtig gut roch, nicht nur nach Aftershave oder Parfum, sondern nach etwas anderem, irgendwie ursprünglich und männlich. Auf alle Fälle sorgte es dafür, dass mein Magen einen kleinen Hüpfer machte. Das war doch noch nie passiert! Wir waren uns bisher aber auch noch nicht so nahe gekommen, dass ich ihn hatte riechen können. Meine Reaktion auf ihn verwirrte mich immens.
»Das könnte ich dich fragen! Was machst du hier?« Er rückte von mir ab und musterte mich von oben bis unten.
»Was ist geschehen?« Er runzelte die Stirn und blickte mich misstrauisch an.
»Ich weiß es nicht! All meine Erinnerungen sind weg, ich stand gestern Abend in meiner Wohnung und konnte mich schlagartig an nichts mehr erinnern! Alles der letzten Wochen ist wie ausradiert!«, erklärte ich ihm.
»Du erinnerst dich an nichts mehr?«, wiederholte er ungläubig.
»Wie soll ich es erklären, damit auch du es verstehst? Eine meiner letzten Erinnerungen ist dieser Autounfall, den wir vor ein paar Wochen beobachtet haben. Du erinnerst dich, der nach dem Schulfest?« Warum erzählte ich ihm das alles? Er war mein Kollege, eigentlich ging ihn das gar nichts an, aber er sah so besorgt aus, als würde ihm mein Schicksal wirklich am Herzen liegen.
»Und danach ist Schluss?« Ich nickte.
»Das ist nicht wahr! Sag mir, dass du dir einen Spaß mit mir erlaubst und mich nur auf den Arm nimmst«, rief er in einem Tonfall aus, der wie Verzweiflung klang.
»So wahr wie das Amen in der Kirche! Gibt es vielleicht etwas, das ich wissen müsste?« Sein Benehmen kam mir äußerst merkwürdig vor.
»Ich weiß noch nicht mal, wo ich anfangen soll! Ich …« Weiter kam er nicht, denn erneut wurde die Tür zu meinem Zimmer geöffnet und die Stationsschwester trat ein.
»Frau Simon, wir wären dann so weit für das CT. Kommen Sie bitte mit?« Ich nickte und erhob mich vom Bett, um ihr zu folgen. An der Tür blieb ich stehen und drehte mich noch einmal zu Phil herum.
»Danke für deinen Besuch, aber müsstest du nicht in der Schule sein? Grüß die anderen Kollegen von mir. Wir sehen uns in der Schule wieder, okay? Mach’s gut«, verabschiedete ich mich von ihm und folgte der Schwester. Sein versteinertes und völlig entsetztes Gesicht bekam ich nicht mehr mit, ich hatte den Raum bereits verlassen.
3. Kapitel
Auch das CT brachte keine Ergebnisse, die Ärzte schienen vor einem Rätsel zu stehen. Körperlich war ich absolut gesund, nichts wies darauf hin, dass ich ein Trauma erlitten hatte, das der Auslöser für meine Amnesie hätte gewesen sein können. Ohne Medizin studiert zu haben, hätte ich das den Ärzten auch ohne die ganzen Untersuchungen sagen können. Ich fühlte mich prima, bis auf die Tatsache, dass ich nicht mehr wusste, was ich am Tag zuvor zum Frühstück hatte. Oder die Tage und Wochen zuvor, wenn man es ganz genau nahm.
Nach der Untersuchung hatte ich es mir wieder in meinem Zimmer bequem gemacht. Soweit man von Bequemlichkeit in einem Krankenhauszimmer sprechen konnte, denn alle paar Minuten wurde die Tür geöffnet und es kam jemand herein. Von der Putzfrau, der Krankenschwester, die das Essen brachte, gefolgt von den grünen Damen, die mir liebenswerterweise Wünsche erfüllen wollten, bis hin zur Nachmittagsvisite. Ich hatte schon Bahnhöfe gesehen, auf denen weniger los war als in diesem Krankenhaus.
»Frau Simon? Ich bin Dr. Schmitzke und das ist Dr. Lermin, seien Sie doch bitte so nett und schildern uns mit eigenen Worten, was geschehen ist!«, stellte sich die Ärztin der Nachmittagsvisite vor. Ich wollte ja wirklich nicht meckern, aber konnten die sich ihre Informationen nicht aus meiner Krankenakte holen? Ich hatte meine Geschichte nun schon zum vierten oder fünften Mal erzählt. Glaubten die, dass sich meine Story änderte, wenn ich sie nur oft genug erzählte? Wollten sie mich vielleicht als Scharlatanin bloßstellen? Es gab nur ein Problem an der Sache: Meine Geschichte war echt. Also begann ich und erzählte meine Geschichte zum wiederholten Male, die beiden unterbrachen mich nicht, tauschten jedoch immer wieder bedeutsame Blicke miteinander aus. Waren das irgendwelche Neurochirurgen und mein ganzes Verhalten wies auf einen Tumor hin? Aber halt, das CT war ja
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