Zwischenstation Gegenwart (German Edition)
konnte sie nicht einfach Ruhe geben?
»Du weißt, dass das Blödsinn ist. Was immer zwischen ihm und mir gewesen war, ist vorbei. Oder hast du mitbekommen, dass er sich in den letzten Wochen bei mir gemeldet hat? Keine Nachricht zu Weihnachten, und warte«, bei diesen Worten nahm ich mein Handy und prüfte kurz das Display, »auch keine Nachricht zu Silvester. Wir sind Geschichte! Anscheinend hat er eingesehen, dass ich die Mühe nicht wert bin, und er sucht sich jetzt eine andere, die er beglücken kann!«
»Aber du weißt es nicht, oder? Vielleicht will er sich selbst schützen und ist daher auf Abstand gegangen! Hast du daran einmal gedacht?« War das der Grund für sein Schweigen? Und wenn ja, warum berührte mich dieser Gedanke?
»Nein, habe ich nicht!«, gab ich wahrheitsgemäß zu.
»Du bist meine beste Freundin und ich werde dir diese Frage nur ein Mal stellen und auch nur, weil heute Silvester ist: Gibt es eine geringe Chance, dass du doch etwas für ihn empfindest? Und weil ich deine beste Freundin bin und heute Silvester ist, will ich eine ehrliche Antwort von dir. Keine Ausflüchte, nur die Wahrheit!« Manchmal hasste ich meine beste Freundin. Sie zwang mich, über etwas nachzudenken, was ich mir schon vor Wochen verboten hatte zu tun. Denn sobald ich darüber nachdachte, kamen ungebetene Gefühle in mir hoch. Gefühle, die ich mir nicht erklären konnte.
»Ich weiß es nicht. Vermutlich schon«, erwiderte ich nach einer ziemlich langen Pause.
»Nenn mir einen triftigen Grund, warum du dich nicht noch einmal mit ihm triffst.« Das war typisch Marie. Für sie galt: Angriff ist die beste Verteidigung, über Konsequenzen machte sie sich erst dann Gedanken, wenn sie weinend auf meiner Couch saß.
»Weil ich Angst vor der eigenen Courage habe! Ich bin genug verletzt worden, wer sagt mir, dass er mir nicht wieder wehtun wird? Was ist geschehen, dass er mir nicht erzählen will?«, erwiderte ich.
»Dann würde ich sagen, dass dein erster guter Vorsatz fürs neue Jahr sein sollte, das herauszufinden. Spring über deinen Schatten und sieh zu, dass du deine Beziehung mit ihm wieder auf die richtige Bahn bringst. Es ist schon schrecklich genug, dass du einen Teil deines Gedächtnisses verloren hast, dich als Jammerlappen zu ertragen grenzt an Körperverletzung. Und ich mache das nur mit, weil du meine beste Freundin bist, jeder anderen hätte ich schon längst einen Tritt in den Allerwertesten verpasst. Jetzt stell dich nicht so an und finde heraus, was zwischen euch ist.« Mit in die Seiten gestemmten Armen stand sie vor mir und fixierte mich mit entschlossenem Blick. Sie sah aus wie eine aufgebrachte Fee und ich befürchtete, dass sie gleich abhob und mir um die Ohren flog. So resolut war sie bisher noch nie aufgetreten und ich erkannte, dass ich in den letzten Wochen wohl ein ziemliches Weichei gewesen sein musste. Das musste sich ändern.
Bald. Nicht morgen und vielleicht nicht nächste Woche, aber bald.
In den frühen Morgenstunden brachte mich ein Taxi nach Hause und ich erklomm todmüde die Stufen zu meiner Wohnung. Marie hatte mich gezwungen so lange zu bleiben, sie wollte nicht, dass ich in Selbstmitleid versank und mir Gedanken über Dinge machte, die ich in dieser Nacht ohnehin nicht ändern konnte.
An meiner Haustür angekommen, erlebte ich eine Überraschung. Ein riesiges, kniehohes Stoffschwein saß zusammen mit einem ähnlich großen Schornsteinfeger vor meiner Tür. Das Schwein trug als Halsband ein überdimensioniertes Kleeblatt. Was sollte das bedeuten? Ich bückte mich, um die Karte in die Hand zu nehmen, die vor dem ungleichen Duo lag. Neugierig riss ich den gefütterten Umschlag auf. Eine schlichte Karte, verziert mit allen denkbaren Glückssymbolen, kam zum Vorschein. Ich schlug sie auf und las den in geschwungener Handschrift geschriebenen Text:
» Liebe Laura,
ich weiß, dass ich derzeit nicht unbedingt die besten Karten bei dir habe. Und doch wollte ich die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen, dir alles Liebe für das kommende Jahr zu wünschen. Deine neuen Mitbewohner sollen dir alles Glück der Welt bringe n. Ich kann mir vorstellen, dass du es gut gebrauchen kannst. Und wenn ich einen Wunsch für das neue Jahr freihätte, würde ich mir wünschen, dass du dich wieder an alles erinnern kannst.
In Liebe, Phil
PS: Und falls du dich fragen solltest, mit wem ich Silvester feiere: Ich gehe alleine zu einer Feier bei Marek .«
Wie benommen starrte ich auf die
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