Zwölf Jahre Ein Sklave: 12 Years a Slave (Gesamtausgabe) (German Edition)
mir eine Erscheinung aus der Erde erhoben.
"Wer bist du?", erkundigte ich mich, nachdem ich sie einen Moment angestarrt hatte.
"Ich bin hungrig, gib mir etwas Bacon", war ihre Antwort.
Mein erster Eindruck war, dass sie eine geistesgestörte junge Herrin war, die von zu Hause geflohen war und nun herumirrte. Der Klang der Geige hatte sie wohl zu meiner Hütte geführt. Das raue Baumwollkleid einer Sklavin, das sie trug, zerstreute diese Annahme aber sofort wieder.
"Wie ist dein Name?", wollte ich erneut wissen.
"Mein Name ist Celeste", antwortete sie. "Ich gehöre Carey und war zwei Tage unter den Palmettos. Ich bin krank und kann nicht arbeiten und würde lieber in den Sümpfen sterben, als vom Aufseher zu Tode gepeitscht zu werden. Careys Hunde werden mir nicht folgen. Sie haben versucht, sie auf meine Spur zu setzen. Aber es gibt ein Geheimnis zwischen ihnen und Celeste, und sie werden die teuflischen Befehle des Aufsehers nicht befolgen. Gib mir etwas Fleisch – ich verhungere."
Ich teilte meine karge Ration mit ihr und während sie sich bediente, erzählte sie, wie sie es geschafft hatte, zu fliehen und beschrieb ihr Versteck. Am Rand des Sumpfes, nicht mal eine halbe Meile von Epps' Haus entfernt, lag eine große Fläche von über tausend Morgen, die dicht mit Palmettos bewachsen war. Riesige Bäume, deren lange Äste sich miteinander verwoben hatten, bildeten eine Kuppel über ihnen, die so dicht war, dass kein Sonnenlicht sie durchdringen konnte. Selbst am hellsten Tag gab es dort nur Zwielicht. In der Mitte dieses großen Areals, das höchstens ein paar Schlangen ab und an aufsuchten – ein verlassener und düsterer Fleck – hatte sich Celeste aus den toten Ästen, die auf dem Boden lagen, eine einfache Hütte gebastelt und diese mit Palmettoblättern bedeckt. Dies war ihre Zuflucht. Sie hatte keine Angst vor Careys Hunden, so wenig wie ich vor Epps' Meute. Es ist wirklich eine Tatsache, die ich übrigens nie erklären konnte, dass es Menschen gibt, deren Fährte ein Hund absolut nicht folgen will. Celeste war einer davon.
Sie kam noch einige Nächte in meine Hütte und bat um Nahrung. Einmal schlugen unsere Hunde an, was wiederum Epps dazu veranlasste aufzustehen und das Gelände auszukundschaften. Er entdeckte sie zwar nicht, aber nach diesem Vorfall erschien es ihr nicht mehr sicher, in den Hof zu kommen. Als alles ruhig war trug ich einige Vorräte zu einem vereinbarten Ort, wo Celeste sie finden würde.
So verbrachte Celeste den größten Teil des Sommers. Sie kam wieder zu Kräften, wurde munter und gesund. Zu jeder Jahreszeit kann man an den Grenzen des Sumpfs das Heulen der wilden Tiere vernehmen. Oft hatten diese der jungen Frau einen mitternächtlichen Besuch abgestattet und sie mit ihrem lauten Knurren aufgeweckt. Diese unerfreulichen Begrüßungen hatten sie schließlich so in Panik versetzt, dass sie beschloss, ihre einsame Bleibe aufzugeben; sie kehrte zu ihrem Herrn zurück, wurde mit ihrem Kopf im Stock ausgepeitscht und wieder aufs Feld geschickt.
Im Jahr vor meiner Ankunft in der Gegend gab es ein gemeinschaftliches Unterfangen einiger Sklaven am Bayou Boeuf, das tragisch endete. Ich glaube, dass auch die Zeitungen zu dieser Zeit ständig voll waren davon; mein Wissen aber stammt aus den Erzählungen derer, die zu dieser Zeit in nächster Umgebung dieser Aufregung lebten. In jeder Sklavenhütte am Bayou wurde lang und breit darüber diskutiert und ohne Zweifel werden sich auch viele nachfolgende Generationen darüber auslassen. Lew Cheney, der mir bekannt war – ein verschlagener, listiger und intelligenterer Neger als die allermeisten seiner Rasse, dachte sich die Idee aus, eine Truppe zusammenzustellen, die stark genug war. um sich ihren Weg ins benachbarte Mexiko freizukämpfen.
Ein entfernter Ort tief in den Sümpfen hinter Hawkins' Plantage wurde als Sammelpunkt erwählt. Lew flitzte in der Nacht von einer Plantage zur nächsten, verbreitete seine Kunde vom Kreuzzug nach Mexiko und erregte, wo er auch auftauchte, damit mehr Aufmerksamkeit als Peter der Einsiedler. Bald war eine große Anzahl Sklaven versammelt; gestohlene Maultiere, von den Feldern geholter Mais und Bacon, der aus den Räucherkammern verschwunden war, wurden in den Wald transportiert. Die Expedition war bereit zum Aufbruch, als ihr Aufenthaltsort entdeckt wurde. Lew Cheney, der vom grandiosen Fehlschlag seines Unternehmens nunmehr überzeugt war, entschied sich in
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