Zwoelf Schritte
uns.»
Megan schaut mich lächelnd an, und ich kann nicht anders, als zurückzulächeln. «Ich weiß sehr wohl, dass wir nicht nach dir suchen, und Iðunn weiß das auch», sagt sie, und ich atme erleichtert auf. Dass Iðunn von meiner Unschuld überzeugt ist, ist für mich das Wichtigste. So weit meine Unschuld eben reicht. Ich spüre einen kleinen Stich in der Magengrube, weil Iðunn vor mir herausgefunden hat, dass ich auf einer Party in der Stadt mit einer fremden Frau herumgeknutscht habe. «Ich möchte dir mein herzlichstes Beileid aussprechen», sagt Megan.
Ich erzähle ihr, dass Elís Pétursson dabei war, als ich Benedikt das letzte Mal gesehen habe, von meinen Verdachtsmomenten gegen Atli, seinem gewalttätigen Charakter und der Rechnung.
«Wir haben beide im Visier, aber unter uns gesagt, keiner passt zu meinem Profil. Und mein Gefühl hat mich bisher nicht getäuscht.»
«Dann soll ich von Atli wohl besser die Finger lassen?» Megan nickt.
«Derjenige, der deinen Bruder und wahrscheinlich auch alle anderen getötet hat, ist jemand, der materiell bessergestellt und intellektueller ist als Atli. Du weißt, dass dein Bruder ein Mikrophon am Leib trug, als ihr euch im Café getroffen habt, und der Mörder das ganze Gespräch mit angehört hat. Er wollte sicher sein, dass Egill seine Wiedergutmachung ordnungsgemäß durchführt.»
«Er war also im Prinzip eine Geisel?», sage ich leise, und Traurigkeit überkommt mich, dass ich in Egills größter Not nur darauf bedacht war, ihn mit Kuchen vollzustopfen. Megan umarmt mich zum Abschluss und fordert mich auf, heimzufahren und mich auszuruhen. Es lohne sich nicht, Atli zu beschatten. Ich stimme ihr zu, aber habe trotzdem beschlossen, in seiner Nähe zu bleiben. Wenn er der Serienmörder ist, wird er nicht lange warten, bis er das nächste Mal tötet.
Ich parke das Auto fast an derselben Stelle wie am frühen Abend und umkreise das Haus von Atli noch einmal. Der Fernseher scheint immer noch zu laufen, aber der Rest der Wohnung ist dunkel, und ich setze mich wieder ins Auto und lehne mich zurück. Ich habe das dringende Bedürfnis, Iðunn anzurufen und ihr zu sagen, dass ich mich nicht einmal an diese Frau erinnere, mit der ich auf der Sauftour herumgemacht habe. Aber da ich ja angeblich ins Kino will, kann ich ihr unmöglich sagen, dass ich Atli beschatte. Es hat mich erschreckt, dass mir Dinge widerfahren sind, an die ich mich nicht erinnere und die absolut nicht beabsichtigt waren. Eine Sekunde lang sickert ein winziger Zweifel in mein Denken, aber er ist so flüchtig, dass ich ihn umgehend abhake. Ich kenne mich und weiß, dass ich niemals einem Menschen schaden würde, nicht einmal wenn ich betrunken bin.
«Verfolgst du mich etwa, du verfluchter Hund!» Kräftige Arme wuchten mich in einem Schwung aus dem Auto. Es ist offensichtlich Morgen, denn auf der Straße sind Leute unterwegs, und man hört die Motorengeräusche warmlaufender Autos.
«Ich musste dich sprechen», sage ich, einfach um überhaupt etwas zu sagen.
«Was willst du?» Er lässt meinen Kragen los, und ich reibe mir die Augen, um wach zu werden.
«Du weißt, dass mein Bruder Egill umgebracht wurde.»
«Ja, das weiß das ganze Land», antwortet er, «sorry, Mann.» Ich bin perplex, denn ich habe nicht gerade eine Beileidsbezeugung von ihm erwartet.
«Ich weiß, dass du mit ihm vor dem Wochenende herumgehangen bist, und mache mir Gedanken, warum.»
«Was ist das bloß mit dir und deiner ewigen Einbildung, dass ich ein Gangster bin! Ich habe Egill eine Gitarre abgekauft und habe sie bei ihm abgeholt. Er hat mir Kaffee angeboten. Wir kannten uns seit ein paar Monaten und besuchten dieselben Meetings, basta!» Er dreht sich auf dem Absatz um und geht davon. Ich erinnere mich durchaus an die Gitarre, die sich Egill nach seinem Entzug kaufte, um die Versäumnisse seiner Jugendjahre nachzuholen, aber er verlor schnell das Interesse daran.
«Warst du nicht sein Vertrauensmann?», rufe ich Atli hinterher. Er bleibt stehen und dreht sich um.
«Nein, das war ich nicht.» Er setzt sich in sein Auto und lässt den Motor an. Er parkt aus, aber anstatt die Straße hinunterzudüsen, stößt er zu mir zurück, lässt die Scheibe herunter und sagt: «In der Hverfisgata ist einer, der weiß im Allgemeinen alles, auch wer welchen Vertrauensmann hat. Der Typ, den sie den Pfarrer nennen, Geir. Ihn kannst du fragen.» Ich nicke und hebe die Hand zum Abschied. Die ganze Belagerung wirkt
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