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Zwoelf Schritte

Zwoelf Schritte

Titel: Zwoelf Schritte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilja Sigurdardóttir
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wahrscheinlich ist es besser, damit noch bis zum Abend zu warten. Bevor ich mich wegen Atli wieder beruhigen kann, öffnet sich die Haustür, und er kommt wieder heraus, diesmal in grauen Trainingshosen, orangefarbiger Windjacke und Turnschuhen. Er geht zügig los, während er sich die Kopfhörer seines iPods in die Ohren fummelt. Ich lasse den Motor an und fahre ihm langsam hinterher. Er biegt nach links ab und geht die Straße bis zum Ende, überquert sie auf dem Zebrastreifen und schlägt den Küstenwanderweg ein. Dort beginnt er ziemlich schnell zu joggen, und ich folge parallel zu ihm, aber in gebührendem Abstand auf der Straße.
    Während ich langsam hinter ihm herfahre, lasse ich ihn nicht aus den Augen, und in meinem Kopf rumoren tausend Fragen. Wie groß ist sein Anteil an dem Chaos, in das sich mein Leben verwandelt hat? Hat dieser Mann, der in unmittelbarer Reichweite in sorgloser Selbstvergessenheit seine Joggingrunde dreht, vielleicht meinen kleinen Bruder umgebracht? Ist Atli der Serienmörder, nach dem die Polizei fahndet? Er kannte Jón Ágúst gut und hatte kein Alibi für das Wochenende, an dem Jón Ágúst gekreuzigt wurde. Bjarni Jóhannes kannte er wahrscheinlich von den AA -Meetings. Sie waren in ungefähr demselben Alter und hatten beide eine kriminelle Karriere hinter sich, vielleicht haben sie sich deshalb gut verstanden. Es könnte einen religiösen Bezug zwischen der Kreuzigung von Jón Ágúst, der Inszenierung von Kristjáns Leiche in der Kapelle und dem Pfarrer geben, den er krankenhausreif schlug. Atli neigt zu Gewalt, ist AA -Mitglied, und er ist kräftig, wenn ich ihn so beobachte, wie er den asphaltierten Weg entlangspurtet, als würde er mit den Füßen kaum den Boden berühren. Außerdem habe ich ihn in der Nähe von Fríðas Wohnung gesehen, in der Nacht, als sie überfallen wurde. Je länger ich darüber nachdenke, desto überzeugter bin ich, dass Atli der fragliche Mann ist. Der Hass brodelt in meinen Adern, und als er die Straße überquert, um umzukehren, will ich am liebsten das Pedal durchdrücken und ihn mit Vollgas über den Haufen fahren. Der Mörder meines Bruders hat nichts Besseres verdient. Aber tot kann mir Atli keine Antworten mehr geben, also fahre ich weiterhin langsam bis nach Hause hinter ihm her.
    Ich drehe eine Zusatzrunde und parke das Auto an derselben Stelle, wo ich Aussicht auf das Haus und die Straße hinunter habe. Es ist inzwischen stockdunkel, und es fällt mir schwer, noch länger still zu sitzen, deshalb steige ich aus und gehe bis zum Ende der Straße und zurück, ohne das Haus auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. An der Straße ist ein Tor zum Garten, ich öffne es und betrete vorsichtig den dunklen, unebenen Pfad. In Atlis Wohnung brennt überall Licht. Hinten sind die Wohnzimmerfenster mit den Balkons und ein kleines Fenster, das mit einer grauen Folie beklebt ist. Es ist gekippt, und Wasserdampf dringt heraus. Atli steht offensichtlich unter der Dusche. Zurück im Auto, überlege ich, ob er duscht, weil er ausgehen will oder weil er joggen war. Dann gehe ich zu Atlis Wagen, und wie ich schon vermutet habe, ist er nicht abgeschlossen. Ich setze mich hinein und wühle im Handschuhfach. Offensichtlich stopft er dort seine Rechnungen hinein, sie quellen aus dem Fach heraus, vor allem von Baumärkten. Ich stecke den Stapel in die Tasche, um ihn in Ruhe durchzusehen. Dann öffne ich den Kofferraum. Außer einem gefütterten Overall und einer Rolle schwarzer Mülltüten finde ich zwei Werkzeugkästen, einen für Feinarbeiten mit Elektrikerzangen, kleinen Schraubenziehern und Utensilien zum Abklemmen von Telefonleitungen, und einen fürs Grobe, groß, mit Hämmern, Sägen, Stemmeisen und Rohrzangen. Wozu braucht ein Elektriker eine Rohrzange? Ich schließe den Kofferraum und gehe zurück zu meinem Auto, um die Rechnungen durchzusehen. Zuerst ordne ich sie in zeitlicher Reihenfolge und schaue mir dann die Daten vor den Morden an. Zwei Tage vor Jón Ágústs Tod hat Atli im Baumarkt vier Meter Seil gekauft. Hat Iðunn nicht gesagt, dass auf dem Kreuz Fasern von einem Seil festgestellt wurden und sich an der Decke eine Befestigung befand, um das Kreuz hochzuziehen? Das ist bestenfalls ein merkwürdiger Zufall. Ich studiere sämtliche Rechnungen, ohne jedoch noch etwas Bemerkenswertes zu finden. Dann packe ich sie alle zusammen, bis auf die Quittung mit dem Seil, flitze zu Atlis Auto und lege sie wieder an ihren Platz. Anschließend gehe ich in

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