Zwölf um ein Bett
weißt du.« Sie sagte »hygi-enisch« und verharrte einen Augenblick sinnend in der visionären Vorstellung ihres Traumlandes, wo Abwaschmaschinen, Kehrichtmühlen und Fußböden ohne Ecken es auch der liederlichsten Frau unmöglich machten, die gesundheitlichen Vorschriften zu mißachten. »Da sind sie endlich. Nun kommt schon, ihr beiden! Meine Güte, kein Mensch würde glauben, daß ihr gern euren Tee haben wollt! Ich hab’ eine Überraschung für dich, Evie.«
»Erdbeeren?« Ihr sommersprossiges Gesicht fiel enttäuscht wieder zusammen, als Mrs. North den Kopf schüttelte. »Viel aufregender, dein Pa kommt nächsten Monat für eine Weile zu Besuch und nimmt dich dann mit nach Amerika.« Evelyns nackte dünne Beine wirbelten in der Luft, als sie einen ausgelassenen Purzelbaum machte und dann den Abhang auf den tiefer gelegenen Rasen hinunterrollte. Als sie sich beim Zurückklettern auf den Abhang etwas beruhigt hatte, fiel ihr noch rechtzeitig ein, aus Höflichkeit zu sagen: »Natürlich möchte ich nicht gern von euch weggehen — aber, o Tante Hattie! Hat er etwas über die Ranch geschrieben? Hat er mein Pferd schon gekauft?«
Nachdem sie zum Waschen hineingegangen war, sagte Mrs. North zu Oliver: »Ich soll ihr die andere Neuigkeit noch nicht erzählen. Bob sagte, er wolle es ihr selber schreiben. Wenn sie sich erst an den Gedanken gewöhnt hat, wird sie es wahrscheinlich sehr schön finden, daß jemand den Platz ihrer Mutter einnimmt. Sie kann es ja auch nicht übelnehmen. Schließlich kannte sie Vivien überhaupt nicht, sie war doch noch ein Baby, als sie starb.«
»Aber sie könnte eifersüchtig sein, daß ihr jemand Bob Wegnimmt. Sie scheint ihn doch anzubeten.«
»Bob würde das auch nicht zulassen; dazu ist er ein viel zu netter Mensch. Er betet Evie auch an. Er hatte nur niemals Zeit für sie, und sie ist immer nur von Kindermädchen und Schwestern behütet worden. Aber jetzt, da sie älter ist, Wird er sich wahrscheinlich mehr für sie interessieren, und diese Irene wird dem Kind ein Zuhause geben können. Ich hoffe nur, sie ist der richtige Typ. Ich habe Bobs Geschmack nicht mehr getraut, seit er sich damals so von diesem schrecklichen Mädchen mit ihrem Cello einwickeln ließ, weißt du noch?«
»Irene«, sagte Oliver. »Sie heißt bestimmt Iren und nicht Irene.« Über diesen Punkt stritten sie sich bis zu Bobs Ankunft zweimal in der Woche.
Als jedoch Bob und seine neue Frau ankamen, stellte sich heraus, daß sie weder Iren noch Irene genannt wurde, sondern Süße. Jeder, sogar Evelyn, mußte sie so nennen.
»Sie kann doch nicht Mutter zu ihr sagen«, meinte Bob in einem Ton, als nähme er dabei in Gedanken an seine erste Frau den Hut ab. Evelyn hatte auch offensichtlich nicht die geringste Absicht zu solchen pietätlosen Äußerungen. Sie hatte augenscheinlich keinerlei Sympathie für die Süße. Die war groß und dürr, und aus ihren Zügen konnte man das Alter von 47 Jahren lesen. Die Süße mochte auch Evelyn nicht sehr. Sie mochte überhaupt keine Kinder, am wenigsten natürliche und unverdorbene. Nichtsdestoweniger erschien sie beladen mit Geschenken, um einen guten Eindruck zu machen, einer sagenhaften von Molyneux angezogenen Puppe, die Getränke zu sich nehmen und wieder von sich geben konnte, einem Malkasten, der eines Künstlers würdig gewesen wäre, Kästen voller Schokolade und Bonbons und einer Reihe viel zu erwachsener Kleider. Evelyn hatte schüchtern und höflich die Puppe genommen, sie so ungeschickt gehalten wie Violet ein Baby und hatte sie mit dem Gesicht nach unten in einem Sessel liegenlassen, bis Mrs. North sie wegnahm. Den Malkasten hatte sie mit zur Schule genommen und ihren Freundinnen gezeigt, und die Schokolade hatte sie einmal umkreist und war dann mit ihr für den Rest des Nachmittags verschwunden. Über die Kleider war sie entsetzt. Mrs. North fürchtete, ihre Schwägerin könnte verletzt sein, und hatte Evelyn schließlich überredet, sie wenigstens anzuprobieren; aber sie konnte sie nicht dazu bewegen, sich damit zu zeigen, und als Mrs. North die Kleider zum Ändern geben wollte, waren sie spurlos verschwunden.
»Ekelhafte, abscheuliche Dinger«, erzählte Evelyn Oliver durchs Fenster. »Affige, kurze, bestickte Röcke wie Lampenschirme und Blusen, die ganz mit Wörtern beschrieben sind und mit großen, riesigen, wabbligen Schleifen statt Knöpfen. Ich kann sie nicht anziehen.«
»Ich nehme an, so was trägt man in Amerika, und darum hat sie geglaubt, du
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