Zwölf um ein Bett
hättest sie auch gern. Es war doch schrecklich nett von ihr, dir das alles mitzubringen, nicht wahr?« sagte er mit überredender Stimme.
»Ich mag sie nicht«, sagte Evelyn düster. »Sie sieht aus wie ein Teufel.« Damit hatte sie nur zu recht. Das Gesicht der Süßen war lang und schmal, mit vorstehenden Backenknochen und Kinn, einem sarkastischen Mund, der übermalt war, um voller zu erscheinen. Sie hatte längliche, grünliche Augen, und ihre Augenbrauen waren so ausgezupft, daß sie in der Mitte hoch und an den Seiten herunter gingen. Ihre Nase war nicht hakenförmig genug, um abstoßend zu wirken, aber scharf und knochig mit ausgeschnittenen Nasenflügeln. Sie trug ihr Haar in der Mitte gescheitelt mit zwei Stirnlocken, die wie Hörner gerollt über jedem Stirnbuckel lagen. Sie war unglaublich elegant, hatte vollendete Beine und Füße, und ihre Kleider, sogar ihre Kostüme, mußten ganz eng anliegen. Ihre Nägel sahen aus wie in Herzblut getunkte Krallen, und sie bevorzugte Moschusparfüm und barbarischen, klirrenden Schmuck und kolossale, glänzende Handtaschen.
Auch für Oliver hatte sie Geschenke mitgebracht: Bücher, Süßigkeiten, Zigaretten und eine etwas mokante Sympathie, die besagte: »Ich verstehe dich; du bist mein Typ. Du und ich sind Erwachsene in dieser reichlich unreifen Welt.« Einmal, als sie sich über ihn beugte, um ihm irgend etwas in seiner Zeitung zu zeigen, fühlte er Schauer seinen Rücken auf und ab laufen, und um seines Seelenfriedens willen legte er die Zeitung auf ihre Nägel. Denn die Süße war attraktiv, in einer schlängelnden und verdorbenen Art, wenigstens für Männer — aber ganz und gar nicht für Frauen.
Bob hatte ihretwegen den Verstand verloren. Er war ein geräuschvoller, gutmütiger Mann in mittleren Jahren mit einer großen, kräftigen Figur und einem runden, grauen Kopf, der etwas zu groß für sein Gehirn war. Seine Stimme beherrschte die Unterhaltung, weniger durch ihr Volumen als durch den reißenden Fluß, mit dem er alles vorbrachte. Man konnte mit Bob niemals ein Wortgefecht austragen. Wenn er sagte, das und das ist so, dann war es auch so, und man lernte bald, sich die Anstrengung einer Widerlegung zu ersparen. Er konnte die phantastischsten Behauptungen aufstellen und sich darauf versteifen; er schob mit seinen breiten Schultern alle gegenteiligen Meinungen beiseite, wie ein Büffel, der durch das Pampasgras schreitet. Mrs. North hatte ihren Bruder seit jeher angebetet, und seine Gegenwart weckte sie aus ihrer langjährigen Versunkenheit in Haushaltsangelegenheiten. Sie schien weniger leicht zu ermüden, und wenn er mit ihr sprach, so konnte sie Sitzenbleiben und völlig vergessen, was auf dem Herd stand. Die Uhr konnte zehnmal schlagen, ohne daß sie hinsah, und die nächste vierteljährliche Telefonrechnung zeigte, daß sie weniger ausschweifend mit dem Telefon umgegangen war. Sie sorgte sich weniger und lachte mehr. Sie war so fröhlich wie ein Kind und verfiel in ihre Muttersprache, die sie mit den neuesten, von den Linnegars aufgeschnappten Ausdrücken wieder auffrischte.
Evelyn, die ihren Vater zum letztenmal gesehen hatte, als sie so klein war, daß sie nicht viel mehr als seine mächtige, männliche Gegenwart erfassen konnte, hatte ein wenig Angst vor ihm. Sie hatte ihn in Gedanken und unterstützt von ihrer Tante verehrt, und im Innersten verehrte sie ihn noch, aber mehr aus sicherer Entfernung; sie strich um die Gesellschaft herum und beobachtete ihn, kam schnell zu ihm hin, wenn er sie rief, schlich sich aber sofort wieder weg, sobald ihn die Unterhaltung von den bärenhaften Zärtlichkeiten, die er seiner Tochter gegenüber an den Tag legte, ablenkte. Sie trank alle seine Geschichten in sich hinein und elektrisierte die Schule mit Berichten, daß New York auf einem Felsfundament, nicht dicker als ein Ziegelstein, erbaut wäre und daß ein Zug in Amerika so schnell führe, daß sein Lärm immer eine Station hinter ihm zurückbliebe. Sie glaubte alles, was er erzählte, und er erzählte ihr alles, was sie nach seiner Vorstellung gern hören wollte.
Als sie ihn nach der Ranch fragte, sagte er: »Aber sicher, sicher. Wir werden eine Ranch haben mit einem Schwimmbad und ganzen Herden von Kühen und wilden Ponys und Kuhjungen und Reitern. Du kannst auch Gary Cooper haben, wenn du willst.«
»Ich glaube, ich hätte lieber Rodeo Ralph, wenn’s geht«, sagte Evelyn, deren Kenntnisse von Filmstars allein aus dem zweifelhaften alten Kino stammten,
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