Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt
Obermauelsbacher Buben so andächtig ihr Vaterunser beten sah, legte er den Federwisch und das Staubtuch beiseite und kam auf sie zu. Willem, der zuerst geglaubt hatte, er habe den Küster vor sich, war ganz überrascht, als der Herr Rektor sie mit überaus gütiger Stimme ansprach, nach ihrem »Woher« und »Wohin« fragte und dann mit vielen Worten sein mächtiges Bedauern bekundete über die armen Buben, die bei einem »solchen ganz und gar hundsmiserabeligen Wetter« sich Husten, Heiserkeit und Lungenentzündung holen könnten. Willem winkte bescheiden ab: Sie seien, was Wetter angehe, schon allerhand gewöhnt. Aber der Herr Rektor Bimseroth ließ deshalb nicht nach, viele »Achs« und »Wehs« mit herzlicher Teilnahme auszusprechen. Was aber wichtig war, der Herr Rektor ließ es keineswegs bei solchen mitleidsvollen Worten bewenden. Plötzlich nämlich fiel ihm ein, daß ja der Hintertuxers Florian gleich nach Tisch mit den Ochsen zur Bahn hinab wolle. Für den wäre das jetzt Christenpflicht, die armen Wallfahrer mitzunehmen auf seinem Karren. »Da werdet ihr doch mal wenigstens nicht gleich so müd !« — »Wie heißt der Mann, der uns da fahren soll ?« fragte der kleine Theo, »der hat ja ‘nen komischen Namen!«
»So«, lachte der Herr Rektor, »komisch ist der Name! Ja, der Florian kommt aus Tirol, wo die hohen Berge sind, da gibt es solche Namen .«
Freilich, der Wagen vom Hintertuxers Florian habe kein Verdeck, stellte der Herr Rektor fest, indem er eine gewaltige Prise Schnupftabak in seine Nase hinaufbeförderte, da sei das Naßwerden nicht zu vermeiden. »Aber auch dem kann abgeholfen werden! Gott sei Dank!« Und sogleich ließ der Herr Rektor Bimseroth seine staubigen Heiligen allein und forderte die »Verstoßenen« auf, mit ihm in das Pastorat zu kommen. Hier erhielt jeder vom Bimseroths Finchen ein Glas leckeren Apfelmost, währenddes der Herr Rektor auf den Speicher stieg. Als er nach einer Weile von dort herniederkam , siehe, was hing ihm da auf dem Arm; Es waren drei uralte, mächtige Regenschirme von vorsintflutlichen Ausmaßen und einzigartiger Farbenpracht. Der erste Schirm nämlich war hellgrau, der zweite von leuchtend roter Farbe, und der dritte, der ursprünglich einmal schwarz gewesen sein mochte, schimmerte jetzt in Braun, Grün und Gelb mit schwarzen Streifen.
Die Regendächer wurden aufgespannt, alle drei waren noch in einem brauchbaren Zustand. Ihr Umfang gestattete es ohne weiteres, daß drei, auch vier »Verstoßene« bequem Platz unter einem jeden hatten. Freilich Bimseroths Finchen protestierte heftig gegen die Ausleihe der Regenschirme, insbesondere der rote sei viel zu schade, wo sie den doch immer nach der Mutter Gottes von Küstelrath mitnehme. Aber der Herr Rektor winkte ab und hieß Finchen den Mund halten und sogleich zu Hintertuxers Florian gehen, um ihm anzusagen, daß er beim Herrn Pfarr-Rektor anfahren möge, weil der etwas mitzugeben habe an die Bahn. Finchen ging ab durch die Mitte.
Den erfreuten Wallfahrern aber wurde jetzt eine nette, gemütliche Ochsenwagenfahrt bis Oderbach in Aussicht gestellt, das wieder am Wege nach Heiligkreuz liege. Ja, von Oderbach könne man auch mit der Bahn der Obermauelsbacher Wallfahrt nachfahren. Lauter verlockende Aussichten! Ja, und dann kam Hintertuxers Florian mit dem Ochsenwagen. Die »Verstoßenen« stiegen auf, spannten ihre Prachtschirme auf und hockten sich hin auf Kisten und Fässer. Karo kam mit Ludwig, Willem und dem Mäxchen Voß unter Finchens roten Schirm, der Leiterwagen, nun mit drei leeren Kartoffelsäcken fast regensicher abgedeckt, wurde mit einem starken Strick an den Ochsenwagen gebunden. Der Rektor Bimseroth gab Weisung, die Schirme je nach Regenstärke jetzt oder bei der Rückkehr in Oderbach an der Bahn abzugeben, damit Hintertuxers Florian sie wieder nach Biesternich bringe. Die »Verstoßenen« dankten dem Herrn Rektor nochmals herzlich für seine Schirme, Finchen krähte, auf den roten besonders achtzugeben, dann sagte Hintertuxers Florian » Ajuih !« und die Ochsenkarre schaukelte los.
Die Regendächer erwiesen sich geradezu als ein Himmelsgeschenk, denn es regnete unterdessen nicht mehr, sondern es goß in Strömen. Aber was tat das jetzt den »Verstoßenen«! Nichts! Sie hörten mit wonnigem Grausen das mächtige Getrommel des Regens auf ihren Schirmen, dachten daran, daß all das Wasser ohne Rektor Bimseroth ihnen in den allmählich schwärzlichen Hemdenkragen gelaufen wäre, und freuten sich,
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