Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt
zum ersten Dorf gekommen, da hatte der kleine Theo das Wort vom neuen »Dreibund« aufgebracht. Das Wort sollte bald heimisch werden unter den »Verstoßenen«. Nachtwachen haben oft ihr Gutes.
Nach drei Stunden war das nächste Dorf erreicht. Es hieß Biesternich , war ein armseliges Nest mit Strohdächern auf den Häusern und einem fürchterlich schmutzigen Weg dazwischen. Aber einen Gasthof hatte es dennoch. »Zur hohen Warte« hieß die kümmerliche Kneipe. Willem hatte sie kaum erspäht, als er auch schon darauf zuging und alle hieß, ihm zu folgen. Drinnen durften alle sich an die blanken Tische der kleinen Gaststube setzen, Willem bestellte einen großen Kessel Kaffee und fragte, ob nicht der Ofen angezündet werden könne, sie seien alle recht naß und müßten noch weiter. Da wäre es gut, wenn die Sachen ein wenig trocknen könnten. Der Wirt tat ohne ein Wort nach Willems Wunsch. Die »Verstoßenen« staunten über das feste Auftreten ihres Hauptmannes.
Der hatte unterdessen für einige Zeit die Stube verlassen. Als er zurückkehrte, hatte er für jeden eine Ansichtskarte von Biesternich gekauft. Es waren fürchterliche Ansichten darauf, »Totalansichten« von Biesternich und »Blicke auf die Hohe Warte«, was offensichtlich ein Berg des großen Waldes war. Diese Karten wurden wortlos verteilt. Dann erhielt jeder der »Verstoßenen« klar und bestimmt den Befehl, sogleich nach Hause zu schreiben. Sie hätten auf die Karte zu schreiben, daß sie gesund wären und hofften, recht bald in Heiligkreuz zu sein, wo man mit den anderen zusammentreffen werde. Und siehe da: Nachdem die Frage gelöst war, wie man mit dem einzig vorhandenen Bleistiftstummel und zwei vom Wirte geliehenen die Schreiberei bewältigen könnte, gaben alle sich gehorsam ans Schreiben. Selbst der dicke Emil mukste sich nicht. Nur Jupp fragte ganz bescheiden, ob er auch eine Karte nach Hause schreiben müsse, wo sein Bruder Franz doch schon eine schreibe. »Nein«, sagte Willem gleich, »dann schreibst du an den Pastor von Heiligkreuz, er möge der Obermauelsbacher Wallfahrt bei ihrer Ankunft sagen, daß noch Jungens aus dem Dorf auf Wallfahrt wären, die wohl einen Tag später am Gnadenort eintreffen würden.« Willem selbst schrieb zwei Karten, eine nach Hause an die Seinen, eine ins Krankenhaus der großen Stadt an den verunglückten Herbert. Darauf beschloß Ludwig, ebenso zwei Karten zu schreiben, wovon die eine an die Frau nach Klein-Dickendorf ging, in deren Scheune man geschlafen und der Ludwig voller Freude mitteilte, daß Karo wieder bei ihnen sei, und daß es seinem kranken Beine besser ginge.
Unterdessen hatte der Wirt der »Hohen Warte« auch seinen Kaffee fertig. Nun ging wieder ein mächtiges Broteschmieren los. Mäxchen Voß säbelte an den »genaschten« Würsten, daß es eine Freude war. Karo bekam von Ludwig einen ganzen Hundekuchen. Zum Schluß wurde noch die letzte Büchse Heringe in Gelee gegessen, dann waren alle satt und freuten sich mächtig darüber.
Die Tatsache, daß alle nach Hause geschrieben hatten, machte ihre Gemüter viel sonniger. Ein gut Stück schlechten Gewissens hatte sich damit schlafen gelegt.
Die Wallfahrt konnte weitergehen. Freilich regnete es draußen immer noch, ja, um ehrlich zu sein, es goß jetzt geradezu in Strömen. Aber das half nun alles nichts. »Wallfahrten heißt nicht Spazierengehen !« erklärte Willem. »Also los !« Nachdem der Wirt bezahlt war, trabten die »Verstoßenen« wieder gehorsam in den Dreck der Biesternicher Hauptstraße hinaus und ließen sich den Regen auf die Köpfe rieseln.
Biesternich hatte auch eine Kirche. Es war ein armseliges Ding. Das Obermauelsbacher Gotteshaus war ein Dom dagegen. Ganz windschief sah sie aus, war aus Balken und Lehm erbaut, trug ein Strohdach und hatte klitzekleine Fensterchen. Ja, der Turm war direkt ein Hohn auf jeden anständigen Kirchturm. Und bloß eine kleine armselige Glocke hing darin. Aber Willem sagte: »Auch in der Kirche wohnt der liebe Gott. Und wo wir auf Wallfahrt sind, ist es nicht mehr als anständig, daß wir ihm auch einen guten Tag sagen und ein Vaterunser beten. Also los !« Kaum hatten die »Verstoßenen« ihr Vaterunser in der kleinen Dorfkirche gebetet, als auch der liebe Gott schon in die Geschicke dieser seltsamen Wallfahrt eingriff, diesmal durch seinen getreuen Diener in Biesternich , den Herrn Pfarr-Rektor Bimseroth . Der war gerade damit beschäftigt gewesen, seine gipsernen Heiligen abzustauben. Als er die
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