Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt
Wasser schnell ab und ihnen entgegen. Die »Verstoßenen« rannten dem Ufer zu, und ehe die Kinder bis zu ihnen herunter getrieben waren, hatten ausgerechnet der kleine Theo und der dicke Emil schon die Röcke abgeworfen.
Willem rief noch: »Theo, Mensch, bleib zurück !« da spritzte das Wasser bereits hoch auf, und die beiden Buben mühten sich um die herankommenden Mädchen. Theo bekam eines gleich zu fassen, trieb aber rasend schnell mit ihm weiter. Da warf sich Willem ins Wasser und schwamm mit schnellen Stößen hinter den beiden her. Der dicke Emil hatte das andere Kind mit kräftigem Griff geschnappt und arbeitete sich schnell mit ihm ans Ufer. Theo war in schwerer Not. In seiner Todesangst schlug das kleine Mädchen mit Armen und Beinen um sich, und als der Junge es bei den Armen faßte, klammerte es sich mit aller Gewalt an seinen Retter. Da aber war Willem schon heran, und bald arbeiteten sich die beiden Jungen mit dem zweiten Kind ein gut Stück flußabwärts auch ans Ufer. Schon standen ihre Kameraden bereit, sie in Empfang zu nehmen. Auch der dicke Emil stand zähneklappernd vor Kälte da und goß sich das Wasser aus den Stiefeln. Das Mädchen, das er aus dem Wasser gezogen, war gleich mit Gebrüll auf und davon gelaufen. Das Kind, das Willem und Theo herausgeholt hatten, saß auf dem Boden, zitterte und heulte vor sich hin. »Jetzt müssen wir sehen, daß wir andere Brocken kriegen«, schnatterte Willem, »sonst kriegen wir ‘nen ekligen Pips !«
Und dann kam der große Augenblick. Das halbe Dorf kam im Sturmschritt mit Schreien und Rufen quer über die Wiesen auf die »Unglücksstelle« los. Erst wurde das in den Bach gefallene »Kathi« besehen, umarmt und von seiner treubesorgten Mutter ins Dorf gebracht. Die übrigen Bauern fielen über die ganz und gar verdatterten Lebensretter her. Röcke und Wollwesten flogen ihnen zu. Man wollte auch sie auf die Arme nehmen und schnell zum Dorfe bringen. Man. riß ihnen buchstäblich die Kleider vom Leibe aus lauter Hilfsbereitschaft, und als zu guter Letzt auch noch ein halbes Dutzend Decken herangebracht wurden, wurden Willem, der kleine Theo und der dicke Emil zu regelrechten Paketen gewickelt und verschnürt und in einem wahren Triumphzug ins Dorf gebracht. Einen solchen Einzug in Hildenfeld hatten sie sich nicht träumen lassen.
Der Herr Pastor von Hildenfeld war über Land. Die Prozession mit den drei Jungen zog deshalb zum Herrn Ortsvorsteher Büngelmann . Fünf Minuten später steckten die dreie schon in mächtigen Federbetten, und Frau Büngelmann war damit beschäftigt, ihnen unter sanftem Zwang einen Wacholder nebst warmer Milch zu verpassen. Der Rest der »Verstoßenen« stand mitten unter dem Volkshaufen der Hildenfelder und kam sich sehr verlassen und einsam vor. Sie wußten nicht, wohin mit sich selber und mußten die für ihre drei Kameraden bestimmten Lobreden nun über sich ergehen lassen. Sie hatten noch gar nicht gewußt, daß sie so prächtige Jungen waren! Immerhin merkten sie aber, daß auch in Hildenfeld ihre seltsame Wallfahrt schon bekannt war. Hatten die Bauern bisher über die Lümmel, die ihren armen Eltern soviel Sorgen machten, die Köpfe geschüttelt und ihnen allen ein düsteres Ende prophezeit, so waren jetzt die gleichen Bauern bereit, denselben Jungen die edelsten Eigenschaften zuzuschreiben. Als Herr Büngelmann am Nachmittag von der Pastorsköchin erfahren hatte, daß die Ausreißer aus Obermauelsbach am Abend in Hildenfeld eintreffen würden und es gut sein würde, ihnen ein Nachtquartier zu verschaffen, hatte das arme Dorfoberhaupt mit viel Mühe eine Scheune für sie ausfindig gemacht. Als derselbe Ortsvorsteher jetzt Nachfrage hielt, wer einen Obermauelsbacher Jungen für die Nacht in Quartier nehmen möchte, da schlugen sie sich bald umjeden einzelnen Jungen. Büngelmanns machten sich nicht wenig Feinde damit, daß sie die drei Lebensretter allein bei sich im Quartier hatten.
Nun, die »Verstoßenen« wurden wie die Fürsten behandelt und wurden gefüttert wie Mastgänse drei Wochen vor Martini. Sie genossen ein Ansehen bei den Hildenfeldern , daß sie sicher vor Hochmut geplatzt wären, hätte nicht immer das drückende Gefühl in ihren Lausbubenherzen gesessen, daß auch dieser schöne Tag vorübergehe. Am nächsten Abend würden sie in Heiligkreuz ihren Einzug halten. Und da nicht damit zu rechnen war, daß der liebe Gott noch einmal ein paar Kinder in einen Bach fallen lassen würde, die sie dann herausholen
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