Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt
Holzpfeilern hatte sich Gestrüpp und Graswerk verfangen, was deutlich genug anzeigte, daß weiter oberhalb der Fluß bereits mächtig über die Ufer getreten sein mußte. Und noch immer fiel der Regen vom grauen Herbsthimmel. »Wenn das so weiter schüttet«, sagte Ludwig, »dann gibt es mächtiges Hochwasser !« Und Willem fügte hinzu: »Und wenn auch die Straß’ da überschwemmt ist, dann kommen wir nicht mehr weiter !«
Der rote Philipp aber meinte: »Junge, wenn jetzt die Brücke einkrachte !«
Die »Verstoßenen« lachten. Alle waren sehr gute Schwimmer, aber vor einem solchen Wildwasser spürten sie doch ein unheimliches Grausen. »Dann wären wir alle heidi !« sagte Ludwig, und jeder gab ihm recht.
Die schwere Brücke zitterte leise unter dem Anprall der wilden Fluten, und die »Verstoßenen« hatten deshalb bald genug ins strudelnde Gewoge gesehen. »Wir müssen weiter«, sagte Willem, und alle waren einverstanden. Als sie Pastor Bimseroths Regendächer aufspannten, gab es ein Unglück. Ausgerechnet Finchens roter Schirm, den sie doch immer mitnahm zur Mutter Gottes von Küstelrath , setzte den gutgemeinten Versuchen Ludwigs, ihn aufzuspannen, heftigen Widerstand entgegen. Dann gab es plötzlich einen Knacks, der Schirm war auf, aber eine Stange hatte sich selbständig gemacht und war mit ihrem borstigen Ende in den roten Baldachin gestoßen. Sssst ! da war ein mächtiger Riß darin! Wortlos starrten die »Verstoßenen« die Schirmruine an, und Hermann sagte: »Jetzt wird Finchen aber fluchen !«
»Ich konnte nichts dafür«, entschuldigte sich Ludwig, »das ist ganz von selbst gekommen !«
»Von wegen !« schrie der dicke Emil, schwieg aber gleich wieder, als Mäxchen Voß ihm einen warnenden Blick zuwarf. Der kleine Theo aber tröstete Ludwig mit der schönen Bemerkung: »Ist doch egal! Wenn Finchen den wieder kriegt, sind wir nicht dabei. Wenn du Finchen einen schönen Gruß bestellst, du hättest nichts dafür gekonnt und legst ihr ein Heiligenbildchen von Heiligkreuz dabei, dann schimpft sie doch nicht so arg. Herr Rektor Bimseroth wird schon mit ihr fertig werden. Sind doch lauter alte Dinger, die Schirme .« Also trotteten Ludwig, Willem und der kleine Theo einträchtig weiter unter dem verwundeten Regenschirm.
Es ging schon langsam auf den Abend zu, als der trübe Himmel ein Einsehen hatte. Da wurden dann die schönen Schirme auf den Leiterwagen gelegt, und kurz darauf vergoldeten die letzten Strahlen der Abendsonne den erbaulichen Verein. Nach Willems stiller Berechnung mit Hilfe der Kilometersteine durfte Hildenfeld nicht allzuferne mehr sein. Um dem schönen Tag einen befriedigenden Abschluß zu geben, wurde noch ein letzter Rosenkranz begonnen, wobei Willem meinte: »Wenn wir den zu Ende haben, werden wir es wohl gepackt haben .« So ungefähr stimmte das auch. Als der Rosenkranz zu Ende war, waren die »Verstoßenen« wirklich nicht mehr weit von Hildenfeld weg. Na, wir wollen es schön der Reihe nach erzählen! Keineswegs waren es nämlich die Häuser des Dorfes, woran die »Verstoßenen« merkten, daß sie bald in Hildenfeld sein mußten, sondern es waren die Kinder. Die hatten wohl den ganzen Tag daheim in der Stube gesessen, und nun, da der Regen aufgehört, waren sie noch auf ein Weilchen vors Dorf gelaufen, um sich vor dem Abendessen tüchtig auszutollen. Auch den Dorfkindern von Hildenfeld hatte es der wildbrausende Bach angetan. Aber sie standen nicht auf einer wuchtigen Bohlenbrücke wie die »Verstoßenen« vorhin und schauten still in das dahinfließende Wasser. Nein, sie hatten ihren Spaß daran, über einen schmalen Brettersteg mit Lachen und Schreien immer wieder hin und her zu laufen. Und je mehr die Bretter der Brücke bei diesem Jagen und Springen auf- und niederschwankten , um so größer war die Freude der Kinder. »Wenn das nur gut geht !« sagte der rote Philipp, der die kleine Bande zuerst bemerkt hatte. »Ich meine, wir müßten ihnen sagen, daß das schief gehen kann«, antwortete Willem, »wir wollen etwas schneller gehen ,«
Ehe sie aber auf Rufweite heran waren, tönte plötzlich ein vielstimmiger Schreckensschrei und die entsetzten Jungen sahen, wie der schwache Mittelpfosten der kleinen Brücke brach. Zwei kleine Mädelchen fielen mit den stürzenden Brettern ins Wasser. Die Dorfkinder aber rannten schreiend davon.
Einen Augenblick standen die Obermauelsbacher Jungen schreckerstarrt. Aber dann kam Leben in sie. Die beiden Kinder trieben in dem wilden
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