Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt
schöne, alte Kirchenlied, und jetzt wurden aller Herzen weit und hell. Nun wurde es doch noch ein rechter Jubelzug, mit dem die »Verstoßenen« ins Dorf und zur Kirche geleitet wurden. Ihre Augen bekamen einen feuchten Glanz, als sie durchs Portal der Gnadenkirche in die dämmerdunkle Rundbogenhalle eintraten, und als sie vorne am Hochaltar das alte wundertätige Kreuzbild des Heilandes im Kerzenschimmer leuchten sahen, da tat ihr Herz einen heißen Schlag. Allen Elfen Hefen Tränen über die staubigen Wangen. Sie waren am Ziel! Und schon knieten sie vor dem Gnadenbild und hoben die heißen Jungengesichter zum Schmerzensantlitz des Heilandes empor, da spürten sie: Alle ihre Abenteuer, alle Unbilden, alle ihre Ängste und Betrübnisse der letzten Tage, die waren nicht umsonst gewesen. Der, dessen Bild da oben am Kreuze hing, der verstand sie, der hatte trotz all ihrer Sünden Freude an ihnen, denn er hatte sie lieb, und sie hatten ja doch auch ihn in ihre Jungenherzen geschlossen. Sie jubelten unter Tränen und sangen aus tiefstem Herzen:
»O du mein Heiland, hoch und hehr...!
Bis in den Tod die Treue!«
Als echte Lausbuben hatten die »Verstoßenen« sich recht bald von ihrer Ergriffenheit beim Einzug in die Gnadenkirche erholt. Sie erfuhren nun auch, daß sie dem vorsorglichen Pfarrer von Hildenfeld zu verdanken hatten, daß sie ohne Prügel in Gnaden wieder aufgenommen wurden. Nachdem die elf Sünder nun auch noch einer nach dem anderen im Beichtstuhl ihre Sünden abgeladen hatten, hinderte sie nichts mehr mit einem für die »Auserwählten« und Läutebuben unerträglichen Hochmut durch das Dorf zu spazieren. Sie waren nun einmal Helden geworden und wollten nun auch gefeiert werden. Und dann erst ihre eigenmächtige, abenteuerliche Wallfahrt! Sie hatten keine Prügel bekommen. Im Gegenteil: Nachdem eine Reihe von Müttern ihre schmutzigen Sprößlinge wieder einigermaßen sauber gewaschen hatte und auch die verdreckten Kleider und Schuhe wieder in einen halbwegs annehmbaren Zustand versetzt waren, wurden sie alle, wie Willem das ausdrückte, »rundgereicht« von der Mutter zur Tante und so durch alle Stufen naher und entfernterer Verwandtschaft, um bewundert zu werden. Wenn bei dieser unangenehmen Prozedur auch hie und da mal eine mit Liebe verabreichte Kopfnuß abfiel, mehr noch fielen Liebesgaben ab in Gestalt von Schokolade, Bonbons und wunderschönen bunten Wallfahrtsbildchen.
Und noch einmal auf Sonderwallfahrt
Die sechs »Auserwählten« brachten es nicht fertig, diese elf kleinen Hochmutsteufelchen mit Verachtung zu strafen. Ach, im Gegenteil, sie bekamen glückliche Gesichter, wenn die »Verstoßenen« sie nur in ihrer Umgebung duldeten. Und wem sie gar einmal mit der alten Dorfvertraulichkeit ein paar Sätze aus ihren »erhabenen« Mäulern gönnten, der platzte bald auch schon vor lauter Stolz. So waren trotz aller ihrer Aufgeblasenheit die »Verstoßenen« dauernd von einem Schwarm von Bewunderern umgeben, die bisweilen auch einmal ein Lutschbonbon erhielten, mehr aber noch die gewaltigen Reden der Elf anhören mußten. Sie erzählten mit gewaltiger Phantasie die unglaublichsten Abenteuer und logen ihren Anbetern die Hucke voll. Und weil sie so meisterhaft bescheiden alles »hinkriegten«, deshalb wurde es auch fast halb geglaubt. Das klang dann etwa so:
»Weißt du noch, Willem, im großen Wald, wie da auf einmal der ganze Heuschober brannte, den der Verrückte angesteckt hatte, um uns bei lebendigem Leibe zu verbrennen = War wirklich ein Glück, daß ich wach war und nahebei, sonst...«
»Ja, ja«, schlug ein zweiter gleich in die Kerbe, »ich dachte grad: mal sehen, ob Emil schläft, und wie ich rausguck’ aus meinem Heuhaufen, da sah ich dann die Bescherung und konnte dir helfen...«
»Oder«, kam gleich ein dritter, »damals im Heustall, in der ersten Nacht! Gott, Jungens, wenn Willem da nicht gewesen wär , der den Kerl mit dem Schlächtermesser vors Loch gejagt hätte, wir wären alle hingewesen !«
»Richtig, da hat auch Karo sein Teil mitgeholfen, daß wir nochmals heil davongekommen sind !«
»Leute, es war schon ‘ne Wallfahrt, die ich nie vergessen werde !« seufzte dann der rote Philipp. Und Jupp stöhnte hinterher: »Ja, wir haben was mitgemacht! Jeder andere hätt’s nicht ausgehalten !«
»Ne, bestimmt nicht !« brummten alle Elf.
Aber der Herr Pastor von Obermauelsbach war ein kluger Herr. Er hatte bald heraus, welch einen mordsgewaltigen Unfug die »Verstoßenen«
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