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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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weiße Leuchten in den Händen. Ihre Stimmen blieben einzeln und vereinigten sich dennoch wie zu einer vierten, anderen, die hoch und hell über ihnen schwebte   – ähnlich wie in der Grotte unter dem Berg und doch ganz anders: Diesmal zogen die Undae kein Grauen mit sich und dieses Mal blieb das, was sie sagten, unverständlich. Ihre Botschaft war nicht für die Welsen bestimmt. Sardes hob das Kinn. Er hatte die Augen geschlossen und lauschte. Verstand. Felt sah im Halbdunkel, wie ein Ausdruck von Zufriedenheit die Furchen in seinem Gesicht glättete, Tränen liefen Sardes über die Wangen in den weißen Bart. Er war dankbar. Und er war alt, uralt.
    Nun senkten die Undae ihre Stimmen zu einem Flüstern, das wie ein flacher Atem um die Säulen strich und der vierten Stimme Raum gab: einem lauten, kristallklaren Klang. Utate hob die Hände hoch über den Kopf, Reva und Smirn legten die ihren aufs Wasser. Das sich augenblicklich entzündete. Auch aus Utates Händekelch sprang eine weiße Flamme hoch; wie ein auffliegender Vogel stieg sie höher und höher, bis sie dieDecke des Gewölbes erreichte. Der Klang schwoll an, war wie ein langer Ruf. Eine Stimme aus Licht. Denn beides geschah gleichzeitig: So wie sich die Halle mit Klang füllte, so breitete sich das weiße Feuer über dem Wasserspiegel aus und raste oben über die Gewölbedecke. Licht und Ton, laut und hell, alles verschmolz miteinander zu der gleißenden, strahlenden Stimme eines explodierenden Sterns.
    Felt fiel der Kopf in den Nacken, er war geblendet und taub   – und er hatte sich nie so befreit gefühlt. Das war mehr als ein besänftigender Hauch, mehr als eine kühle, beruhigende Hand auf der verbrannten Schulter   – es war vollkommene Erleichterung. Im hellen Ruf verflüchtigte sich nicht nur all das, wovon sie eben noch beim Frühstück gesprochen hatten. Der Klang des Lichts löste Felt von sich selbst, hob für einen Moment das Gewicht seiner Existenz an und ließ ihn schwerelos in der Gnade des Vergessens treiben.
    Der Klang verwehte. Die Helligkeit verlosch. Nur Lichtkränze blieben zurück; um jede Säule lag ein Kragen aus kaltem weißem Feuer.
    Felts Selbst sackte wieder in sein Bewusstsein.
    Reva lachte.
    Smirn stimmte ein, ihr kehliges, glucksendes Lachen war wie das Blubbern von aufsteigenden Blasen, die an der Wasseroberfläche zerplatzen.
    Utate klatschte in die Hände, rief etwas, wandte sich um und sah auf zu den Männern.
    Sie streckte die Hand aus.
    Sardes stieg vorsichtig hinab, sie nahm seine Hand und fuhr ihm mit der anderen sanft über das Gesicht. Er schauderte nicht unter der Berührung. Sardes stand still, während Utate ihm die Tränen abwischte.
     
    Nach der Schwerelosigkeit, der Befreitheit lag nun eine Last auf Felts Schultern, so schwer, dass er meinte, seine Knochen brechen zu hören. Es war nur sein Leben. Es war alles, was er bisher ertragen hatte, es waren der Hunger und die Kälte, die Sorge um die Kinder und um Estrid, es war der Tod von so vielen, die er gekannt hatte, gut und weniger gut. Alles, was er im Verlauf von vierzig Soldern auf sich geladen hatte, war in einem Augenblick wieder auf ihn gefallen.
    Er schloss die Augen. Er dachte sich zurück auf den Wall, in den Wind, in das Morgenlicht und er sah über die Wolkenwirbel ins Nichts des Bersts. Er versuchte einen Schritt, dann noch einen, dann ging er in Gedanken über den Wall, machte seine Runde, und während er ging, rutschte das Leben wieder an seinen Platz und die Last verteilte sich so, dass sie erträglich war.
    »Ihr auch, Welsen!«
    Revas Stimme. Felt öffnete die Augen. Sie stand im Wasser und winkte. »Nun kommt schon!«
    Die Offiziere sahen sich an, Marken lächelte schwach. Sie hatten ihn alle drei erlebt, den kurzen Augenblick der Gnade. Nun waren sie wieder hier, in ihren Körpern, in ihren Leben, in ihrer Welt. Einer Welt, die bedroht war und die sie noch nicht verlassen durften. Sie stiegen hintereinander die steile Treppe hinab.
    Unten angekommen konnte Felt erkennen, dass die Basis jeder einzelnen Säule wie ein Kopf gearbeitet war. Große, steinerne Gesichter lagen seitwärts, wie schlafend, mit einer algenbeschlagenen Wange im Wasser und trugen ruhend das hohe Gewölbe der Halle. Was war dagegen das Gewicht eines einzelnen Lebens?
    »Seht mal rechts«, sagte Kersted, der als Letzter ging.
    Felt stutzte. Das war ganz zweifellos Revas Gesicht. Und nicht nur das, bei näherer Betrachtung konnte man feststellen,dass jedes Gesicht

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