Zwölf Wasser Zu den Anfängen
Pfeil traf die Kehle, aber Juhut hatte ihm bereits das Genick gebrochen.
Der Schwertkämpfer sank auf die Knie, beugte sich schwer atmend über den Mann am Boden. Babu hängte sich den Bogen um und lief den Hügel hinab.
Gerders Atem ging flach, jeder schnelle Zug begleitet von einem pfeifenden Seufzen. Felt riss ihm den Brustschutz herunter, aber das Wolfsblut hatte Wams und Hemd durchtränkt, war auf Brust und Bauch zu einem zweiten, steinharten Panzer verkrustet, der Gerder die Luft nahm. Seine weit geöffneten Augen schwammen in Tränen, rollten unkontrolliert, das Gesicht war schneeweiß. Felt griff nach Gerders unverletzter Hand und drückte sie fest, damit er spürte, dass er nicht allein war, sehen konnte er nichts mehr. Zwei, drei quälende Versuche noch, Luft in die gequetschten Lungen zu pressen, dann war es vorbei, Gerder war erstickt.
Juhut landete auf Babus Arm und schüttelte das Gefieder. Während des Kampfes war der Kopfschmerz verschwunden gewesen, Babu bemerkte es erst jetzt, da er zurückkam. Er lächelte bitter und sagte leise: »Willkommen zurück, mein Freund.« Der Schmerz war auszuhalten.
Er versuchte die Situation einzuschätzen – der Angriff der Wölfe war verheerend gewesen, der felsige Boden glänzte vom Blut der Überfallenen, ungefähr die Hälfte schienen Soldaten gewesen zu sein. Was hatten diese Menschen hier gemacht? Babu ging langsam zwischen den Körpern umher, aber er fand keine Überlebenden, sondern nur immer denselben Ausdruck tiefsten Entsetzens auf den Gesichtern. Er wusste, welch grauenvollen Tod sie erlitten hatten: Jeder Einzelne hatte in den dunklen Abgrund der eigenen Seele geblickt, bevor er starb. Nur der eine Mann hatte das überstanden. Aber wie gut, ob er noch bei Sinnen war, das wusste Babu nicht und blieb daher auf Abstand. Er selbst hatte es geschafft, dem Wolf zu widerstehen, er hatte es geschafft, dem Rudel bis hierher zu folgen – Juhut hatte ihn geführt und ein halbes Solder hatte die Jagd gedauert. Er würde sich nicht jetzt von einem fremden Kämpfer umbringen lassen, der den Verstand verloren hatte. Babu sah, wie sich der Mann mühsam erhob, er blickte immer noch auf den, der am Boden lag und sich nicht mehr rührte. Er nahm sein Schwert, wischte es ab und steckte es weg. Dann blickte er um sich wie einer, der gerade aus dem Schlaf gerissen worden ist. Sein Blick traf Babus, aber noch verstand der Mann nicht, wo er war, was geschehen war. Dann zuckte er zusammen, wie von einer unsichtbaren Faust getroffen. Er rannte zum schwarzen Loch des Höhleneingangs, wo Babu ein Schimmern wahrnahm. Es gab noch einen Überlebenden.
Reva war unversehrt. Sie hockte bei Wigo, der auf dem Rücken lag und immer noch eine Fackel in der Hand hielt, obwohl sie längst erloschen war. Auf den ersten Blick hatte er nicht viel abbekommen, der linke Ärmel seines Hemds war dunkel verfärbt. Felt riss ihn ab. Ein Biss in die Achselhöhle, nicht besonders tief, dennoch durfte man das nicht unterschätzen. Felt stand auf, sie brauchten Licht, Feuer, Wasser, Tücher, sie mussten die Wunde reinigen, er sah sich um.
Und wurde überrollt von einer Woge der Verzweiflung. Er spürte, wie ihm das Blut in die Beine sackte, er taumelte, er sah die dunkle Masse am Boden, er begriff, dass es Menschen waren, Leichen, dass sie
alle wirklich tot waren
, ihm wurde schwarz vor Augen, er griff hinter sich, er musste sich setzen.
»Das«, sagte Wigo, »waren keine Wölfe.«
»Ja«, antwortete Felt matt, »das waren keine Wölfe.«
Eine Erinnerung stieg in ihm auf. Ein Bild, das ihm den Arm so schwer gemacht hatte, dass er das Schwert nicht mehr hatte heben können. Nein. Er weigerte sich, er schaute Reva an, schob ihr Gesicht vor das Bild, er sagte: »Ich kümmere mich um Feuer.«
ELFTES KAPITEL
WIGO
Sie hatten sich in die Höhle zurückgezogen. Felt hatte Feuer gemacht und ein paar Vorräte herangeschafft. Er war langsam zwischen den Leichen umhergegangen, er hatte jedem Einzelnen mit der Fackel ins Gesicht geleuchtet, so es noch ein Gesicht gab. Kein Leben mehr. Nur Entsetzen.
Sie hatten die Wunde versorgt und Wigo hatte sogar ein wenig gegessen und dabei einen müden Witz über den Koch gemacht, der zu früh den Löffel abgegeben habe.
Dann hatten sie lange geschwiegen.
Alle, alle waren tot.
Reva war wieder in ihre innere Abgeschiedenheit gefallen und ging langsam im Wasser auf und ab. Felt hatte sie noch nicht nach der Quelle und dem Hüter fragen
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